Unternehmen
Patienten können Nutzen und Nebenwirkungen digital erfassen
Ein Münchner IT-Unternehmen hat eine Plattform entwickelt, mit der Patienten ihren Therapieverlauf dokumentieren können. Hersteller und Behörden bekommen dadurch eine Datenbasis zur Wirksamkeit neuer Arzneimittel.
Veröffentlicht:München/Berlin. Es ist der zweite Anlauf, den das Münchner IT-Unternehmen Medikura mit seiner digitalen Plattform zur Erfassung von Arzneimittelwirkungen unternimmt. Die erste Version, eine für Patienten bestimmte App, auf der diese bei sich selbst im Therapieverlauf beobachtete Nebenwirkungen von Arzneimitteln erfassen und an Medikura zur Systematisierung weiterleiten konnten, war von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft kritisiert worden.
Nun hat Medikura diese Plattform weiterentwickelt zu einer systematischen Erfassung von Real World Data im Rahmen von Beobachtungsstudien. Grundsätzlich werden Ärzte dabei einbezogen, denn sie sind es, die dem Patienten die App zur Verfügung stellen sollen.
Der – politische – Hintergrund: Immer häufiger entscheidet sich der Gemeinsame Bundesausschuss bei der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen für eine Befristung. Ursächlich dafür ist, dass sich keine Aussagen über das Ausmaß des Zusatznutzens treffen lassen – bei Orphan Drugs sehr häufig –, weil die zum Zeitpunkt der Zulassung vorgelegten Daten noch keine gute Evidenz bieten.
Sonderfall beschleunigte Zulassung
Einen Sonderfall stellen dabei beschleunigte Zulassungen dar, die erteilt werden, wenn die Zulassungsbehörde einen besonders hohen medizinischen Bedarf anerkennt und zugleich die ersten Stufen der klinischen Prüfung einen hohen Zusatznutzen erkennen lassen.
In solchen Konstellationen können bedingte Zulassungen oder solche unter außergewöhnlichen Bedingungen erteilt werden; auch bei Orphan Drugs sind derartige Zulassungen nicht selten. Die Folge ist, dass Unternehmen weitere klinische Forschung anstellen und Daten gewinnen müssen, um eine bessere Evidenz für den Zusatznutzen und die Sicherheit herzustellen.
Im Rahmen der Nutzenbewertung kann der Gemeinsame Bundesausschuss bei diesen Arzneimitteln die Auflage erteilen, dass der Hersteller anwendungsbegleitend Daten aus der realen Versorgung erhebt.
Monitoring zur Arzneimittelsicherheit
Um derartige Daten systematisch, in größerem Umfang möglichst schnell und kostensparend zu gewinnen, hat das Münchner Start-up-Unternehmen Medikura eine digitale Plattform für das Monitoring von Arzneimittelwirksamkeit und -sicherheit entwickelt, mit der Real-World-Daten erhoben, gesammelt und systematisiert werden können.
Mit dem „ImpactMonitor“, so erläutert Medikura-Gründerin und Geschäftsführerin Dr. Friderike Bruchmann, können Patienten ihren Therapieverlauf hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen digital auf dem PC oder Smartphone erfassen und dabei auch alltagsrelevante Daten zur Lebensqualität speichern. Diese Daten werden an Medikura übermittelt, dort von einem Team von Pharmakologen nach einer automatischen, algorithmusbasierten Strukturierung auf Plausibilität gecheckt, pseudonymisiert und an den Hersteller oder das Forschungsinstitut weitergeleitet.
Das Unternehmen
Gründung: Anfang 2018 durch Dr. Friderike Bruchmann und Dr. Philipp Nägelein.
Leistung: Digitale Meldeplattform für Nebenwirkungen in Deutschland mit mehr als 2000 Patienten-Meldungen pro Monat; Team: rund 20 Personen mit Expertise in Pharmakologie, Pharmazie und Informationstechnologie.
Der Hersteller bekommt damit auch wichtige Daten zur Pharmakovigilanz, die er nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes an die Arzneimittelbehörden weiterleitet. Dazu liegt eine datenkompatible Schnittstelle für den direkten Import in die herstellereigenen Pharmakovigilanz-Datenbanken und somit für die Weiterleitung an die Arzneimittelbehörden vor.
ImpactMonitor zum Tracking von Wirkungen
Der Vorteil des „ImpactMonitors“ ist das einfache Tracking von Wirkungen und Nebenwirkungen neuer Arzneimittel bei verschiedenen Patientengruppen, für die auch deren Alter und der Gesundheitszustand, etwa Komorbiditäten, und die Komedikation erfasst werden können. Ein weiterer Zusatznutzen ergibt sich aus der raschen Verfügbarkeit strukturierter Daten, die für das Risikomanagement ebenso wie für weitere Schritte im Health Technology-Assessment genutzt werden können.
Allerdings war das Instrument anfangs auch umstritten, nicht zuletzt deshalb, weil es in der ersten Version ausschließlich auf die Erfassung von Arzneimittelnebenwirkungen abstellte und an Ärzten vorbeikonzipiert war.
Die Gründerin: Dr. Friderike Bruchmann
Position: Geschäftsführerin und Ko-Gründerin von Medikura
Ausbildung: Studium der Betriebswirtschaftslehre und Informatik an der TU München; 2017 Promotion; Teilnahme an einem Studienprogramm für Start-up-Unternehmer.
Das rief die Arzneimittelkommissionen der Ärzte- und Apothekerschaft 2019 auf den Plan. „Die Verarbeitung und Vermittlung von sensiblen medizinischen Daten von einzelnen Patienten im Zusammenhang mit der Arzneimittelsicherheit durch ein gewinnorientiertes Unternehmen der Datenverarbeitung wird von der AkdÄ abgelehnt“, heißt es in der Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
Nach dem neuen Modell ist der Patient zwar Nutzer und Mitwirkender an der Datenerhebung. Auftraggeber und bezahlender Kunde bei Medikura ist jedoch der Arzneimittelhersteller, der vom ImpactMonitor profitiert. Pharmaunternehmen wiederum binden Ärzte ein, um den ImpactMonitor geeigneten Patienten zu vermitteln. Ein Modell der raschen Datengewinnung, das künftig aufgrund beschleunigter Zulassungen auf der Basis relativ kleiner Probandenkohorten in klinischen Studien wichtiger werden könnte.