Hochschulfinanzierung
Unikliniken sehen rot
Alarmstufe Rot: Deutschlands Unikliniken warnen vor einem Finanzkollaps. Schuld daran sind ihrer Ansicht nach die Föderalismusreform von 2006 und die künftige Schuldenbremse. Helfen soll ihnen eine dicke Finanzspritze. Die Niederlande zeigen, wie es funktionieren könnte.
Veröffentlicht:BERLIN. Den Universitätskliniken im Lande geht die Puste aus. Angesichts von Sondierungsgesprächen und nahenden Koalitionsverhandlungen in Berlin schöpfen sie jetzt allerdings wieder neue Hoffnung - auf Linderung und womöglich eine Strukturreform.
Schon seit längerem warnen ihre Verbände, der Verband der Uniklinika (vud) und der Medizinische Fakultätentag (MFT), vor einem Finanzkollaps in Forschung, Lehre und Patientenversorgung.
Beim Nephrologenkongress in Berlin wiederholte MFT-Präsident Professor Heyo Kroemer aus Göttingen, was die 37 Fakultäten und 33 Kliniken umtreibt: "Die Grenze einer systemischen Instabilität ist erreicht."
In diesem Jahr werden nach seinen Berechnungen erstmals alle Unikliniken zusammen ein Minus im zweistelligen Millionenbereich einfahren.
Rote Zahlen und kein Ende in Sicht
Zwar hätten auch schon in den Jahren zuvor einzelne Häuser geschwächelt, doch nun sei die "Entwicklung der roten Zahlen" nicht aufzuhalten.
Kroemer pocht deswegen auf einen Systemzuschlag für die Uniklinika, wie er in der Vergangenheit immer mal wieder diskutiert worden ist.
Die Wurzel des Übels sieht Kroemer bei der Föderalismusreform, die 2007 in Kraft getreten war. Damals hatte sich der Bund als Teil eines politischen Deals vollständig aus der Hochschulfinanzierung zurückgezogen. Seitdem sind ausschließlich die Länder für die Investitionen zuständig.
Selbst wenn der Bund wollte, dürfte er qua Verfassung gar nicht für die Finanzierung von Hochschulen aufkommen. Dieser Umstand wird mittlerweile selbst im politischen Berlin bedauert.
In der vergangenen Legislaturperiode gab es vereinzelte Andeutungen, die bestehende Regelung wieder aufzuweichen.
Klagen über Investitionsstau
Der heutige Zustand wäre allerdings kaum ein Problem dieses Ausmaßes, kämen die Länder ihren Verpflichtungen nach. Doch sie tun es nicht. Land auf, Land ab beklagen Kliniken Investitionsstaus in Millionenhöhe.
Die Folge für die Unikliniken: Sie müssen die Investitionslöcher mit den Einnahmen aus der Krankenversorgung stopfen, was zu teils obskuren Mengenausweitungen geführt hat.
Doch auch diese Strategie hat Grenzen. Kroemer: "Die Krankenversorgung drückt Forschung und Lehre an die Wand."
Den Unikliniken fehlen zunehmend die Mittel, die sie eigentlich für die universitäre Ausbildung neuer Ärzte und die Förderung künftiger Forschereliten benötigen würden.
Nur Land ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Ab 2016 greift für den Bund die Schuldenbremse, ab 2020 gilt sie auch für die Länder. "Dann wird die Sache erst richtig spaßig", meint Kroemer.
Die Länder müssten schließlich aus der Not heraus zu noch viel drastischeren Maßnahmen greifen, als nur die Investitionszahlungen zu reduzieren. Vorgänge, wie etwa an der Uniklinik Halle, über der weiter das Damoklesschwert der Schließung schwebt, könnten sich wiederholen.
Oder aber Lehrstühle werden gestrichen, medizinische Disziplinen einfach wegrationalisiert.
Kroemer: DRG trifft keine Schuld
Den oft gescholtenen DRG möchte Kroemer keine allzu große Schuld für das Desaster zuschieben. Von speziellen DRG für die Unikliniken, Fallpauschalen, in denen die Vorhaltekosten, Ambulanzen, Extremkostenfälle und ähnliches stärker abgedeckt werden, hält er nichts.
Das produziere nur "negative Patientenströme" hin zu den nicht universitären Kliniken. Außerdem wäre ein solches Modell wohl kaum der Mehrheit der gut 2000 deutschen Kliniken zu vermitteln.
Kroemers Hoffnung kommt aus den Niederlanden in Person von Professor Martin Paul, Präsident der Uni von Maastricht. Der deutsche Mediziner war vorher Dekan an der Charité und kennt beide Systeme.
In den Niederlanden macht der DRG-Anteil bei den acht Unikliniken anders als in Deutschland mit rund 50 Prozent nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der Einnahmen aus. Hinzu kommen staatliche Zuschüsse, Boni etwa für jeden PhD-Absolventen oder das Erreichen der Regelstudienzeit der Studenten sowie je Weiterbildungsassistent bis zu 145.000 Euro.
Niederlande als Vorbild
Worauf die Deutschen schielen, sind die staatlichen Zuschüsse in Form fixer Zuwendungen und der sogenannten "akademischen Komponente", die von Gesundheits- und Wissenschaftsministerium getragen werden.
80 Prozent davon fließen in die Versorgung, 20 Prozent in die Forschung. Bezahlt werden damit auch neue, experimentelle Diagnostik- und Therapienverfahren. Die "akademische Komponente" macht immerhin zehn Prozent der Uniklinik-Budgets aus, hinzu kommen weitere staatliche Gelder.
Für Deutschland scheinen das beinahe paradiesischen Zustände zu sein. MFT-Präsident Kroemer sagt deswegen unverhohlen: "Wir brauchen einen Zuschlag wie aus dem holländischen System, einen Systemzuschlag." Der könne vom Bund finanziert werden, oder auch ganz im Sinne der Monistik aus dem Gesundheitsfonds.
Aber vielleicht muss die Frage nach der Finanzierung noch viel platter beantwortet werden, etwa wie es Martin Paul formuliert: "Wenn ein Staat Universitätsmedizin betreiben will, muss er sie finanzieren."
MFT-Präsident Kroemer will sich nicht entmudigen lassen. Sein Hoffnungsschimmer sind die kommenden Koalitionsverhandlungen. Wenn man dort die Situation der Fakultäten und Unikliniken platzieren können, sagt er, sei man schon ein ganzes Stück weiter.
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