Jahrelanger Rechtsstreit beendet
Vergleich im Prozess um Nierenlebendspende: Patientin bekommt 100.000 Euro
Das Oberlandesgericht Hamm sieht bei der Organentnahme einer Patientin erhebliche Aufklärungsmängel – und orientiert sich damit an Grundsatzurteilen des Bundesgerichtshofs.
Veröffentlicht:Köln. Eine Nierenlebendspenderin, die seit der Organspende an gesundheitlichen Einschränkungen leidet, erhält durch einen Vergleich mit dem Universitätsklinikum Essen einen Schadenersatz in Höhe von 100.000 Euro. Damit geht vor dem Oberlandesgericht Hamm (OLG) ein langjähriges Verfahren wegen fehlerhafter Aufklärung im Vorfeld einer solchen Organspende zu Ende.
Die Klägerin leidet seit der Spende unter anderem an chronischer Erschöpfung (Fatigue-Syndrom, CFS). Wie die in Berlin ansässige „Interessengemeinschaft Nierenlebendspende“ mit Verweis auf verschiedene Studien mitteilt, tritt das Fatigue-Syndrom nach Nierenverlust bei rund einem Viertel der Nierenlebendspender in unterschiedlicher Ausprägung auf und beeinträchtigt diese erheblich in ihrer weiteren Lebensführung.
Risiko war Medizinern bekannt
Für die Klägerin ging es bei dem Verfahren (I-3 U 6/16) um die Anerkennung ihrer durch die Nierenlebendspende erlittenen gesundheitlichen Schäden. Die Frau und der Empfänger der Niere – ihr inzwischen verstorbener Vater – sind laut der „Interessengemeinschaft Nierenlebendspende“ unter anderem auch nicht darüber aufgeklärt worden, dass die Leichtkettenerkrankung, die für das Nierenversagen des Empfängers verantwortliche Grunderkrankung, auf die gespendete Niere überspringen kann. Das ist letztlich auch geschehen. Das Risiko sei den Medizinern bekannt gewesen.
Das Verfahren ist eines von insgesamt zwei Verfahren, die nach zwei Grundsatzurteilen des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 29. Januar 2019 wieder vor dem OLG Hamm gelandet sind, um Fragen nach Art und Höhe der eingetretenen Schäden zu klären. Der BGH hatte klargestellt, dass eine Organ-Lebendspende ohne umfassende Aufklärung rechtswidrig ist. Ärzte und Gerichte dürfen demnach nicht davon ausgehen, dass die Spender für nahe Angehörige alles tun und daher ohnehin unter allen Umständen einwilligen würden.
Keine schnelle Klärung in Sicht
Für eine solche hypothetische Einwilligung hatten die Richter „keinen Raum“ gesehen – schließlich dienten die strengen gesetzlichen Vorgaben dem Schutz potenzieller Lebendspender vor sich selbst. Die Richter des OLG Hamm hatten das zuvor anders bewertet: Sie vertraten den Standpunkt, dass die Spender auch bei korrekter Aufklärung der Organentnahme wohl zugestimmt hätten.
Bei der Verhandlung des ersten Verfahrens vor dem OLG hatte sich im vergangenen November abgezeichnet, dass mit einer schnellen Klärung nicht zu rechnen ist. Ungeachtet der von der Klägerin geschilderten Erschöpfungserscheinungen und ihrer geringeren Leistungsfähigkeit habe der vom Gericht bestellte nephrologische Gutachter an einem neurologischen Gutachten festgehalten, berichtete Ralf Zietz, erster Vorsitzender der „Interessengemeinschaft Nierenlebendspende“, der Ärzte Zeitung. Ein solches Gutachten hätte das Verfahren weiter verlängert, auch mit Blick auf weitere juristische Schritte je nach Ausgang.
Die überdurchschnittlich hohe Vergleichssumme von 100.000 Euro bildet auch etwaige Einschränkungen und Probleme sowie die daraus möglicherweise entstehenden Gesundheitskosten ab, die ihr in den kommenden Jahren bevorstehen könnten, wenn beispielsweise die Leistung der verbliebenen Niere altersbedingt weiter abnimmt. Die Klägerin hat die Summe bereits erhalten. „Wir sind mit dem Ergebnis zufrieden“, resümierte Zietz. Mit der Annahme des Vergleichs sind weitere Schadenersatzforderungen zu einem späteren Zeitpunkt allerdings ausgeschlossen.
In Berlin hatte Befangenheitsantrag Erfolg
Das zweite Verfahren, in dem Zietz selbst als Kläger auftritt, dürfte noch länger andauern. In diesem Fall führt ein vom OLG Hamm bestellter Gutachter ein neurologisches Gutachten durch. Mit einem Ergebnis ist erst im Sommer dieses Jahres zu rechnen.
Beim ersten Fall hatte die Vertretung der Klägerin einen Befangenheitsantrag gegen den Gutachter gestellt, dieser wurde allerdings vom OLG abgelehnt. In einem ähnlichen Fall vor dem Landgericht Berlin (LG) (AZ 13 O 25/20) hatte der Befangenheitsantrag der Klägerin gegen einen Gutachter dagegen jetzt Erfolg. „In den zahlreichen von uns begleiteten Zivil- und Sozialprozessen werden beschädigte Nierenlebendspender nahezu ausschließlich mit Gerichtsgutachtern konfrontiert, die häufig einseitigen Kollegenschutz betreiben und nicht vor Falschaussagen und Faktenverbiegen zurückschrecken“, kritisiert Interessenvertreter Zietz.
Die Frau hatte im Jahr 2018 ihrer Schwester eine Niere gespendet, bei dem minimalinvasiven Eingriff aber erhebliche Verletzungen erlitten. Im vergangenen Jahr reichte sie vor dem LG Berlin Klage gegen die Charité und die beteiligten Ärzte ein.
Oberlandesgericht Hamm
Az. I-3 U 6/16; I-3 U 172/16