Werben für die Niederlassung

Viele Mühen laufen ins Leere

Der Hamburger Versorgungsforschungstag zeigt: Trommeln von Verbänden für den ambulanten Bereich kommt beim Ärztenachwuchs oft nicht gut an.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
2. Hamburger Versorgungsforschungstag: Einfache Lösungen für drängende Zukunftsfragen gibt es nicht.

2. Hamburger Versorgungsforschungstag: Einfache Lösungen für drängende Zukunftsfragen gibt es nicht.

© KV Hamburg

Hamburg. Was hindert Ärzte daran, sich niederzulassen? Dieser und weiteren Fragen rund um die Arbeit im ambulanten Bereich spürten die KVen Hamburg und Schleswig-Holstein auf dem zweiten Hamburger Versorgungsforschungstag nach.

Einheitliche Antworten gab es nicht – die Einschätzungen variierten je nach Fachgruppe, Alter, Geschlecht, Standortpräferenzen und vor allem nach persönlichen Erfahrungen, die sich oft nicht mit denen von Verbänden und Körperschaften oder mit Durchschnittszahlen decken.

Deutlich machte dies etwa die niedergelassene Allgemeinmedizinerin aus Lübeck, die über die von der Deutschen Apotheker- und Ärztebank präsentierten Zahlen über bundesweite Durchschnittsverdienste ihrer Fachgruppe verblüfft war. Mit Befremden stellte sie fest, wie weit sie selbst von diesen Durchschnittswerten entfernt ist – ohne Aussicht, mit ihrer Praxis solche Werte erreichen zu können.

Auf der einen Seite also finanzieller Anreiz für die Niederlassung: Schließlich liegt der durchschnittliche Jahresüberschuss nach den Berechnungen der Bank über dem Bruttogehalt eines angestellten Oberarztes.

Auf der anderen Seite die gegenteilige Erfahrung der einzelnen Ärztin – Geld kann nach ihrer Einschätzung nicht für die Niederlassung sprechen.

Lobbyarbeit der Verbände

Anderes Beispiel: die Lobbyarbeit der Verbände und Körperschaften. Spürbar bemühen sich diese seit einigen Jahren, die Vorteile einer Niederlassung stärker in den Vordergrund zu rücken, etwa über Seminare für interessierte oder kürzlich niedergelassene junge Ärzte, auch in der Allgemeinmedizin.

Auf der anderen Seite der Medizinstudent im neunten Semester, der das ständige Trommeln von Seiten der Verbände für die Allgemeinmedizin schon an der Uni als "aggressives Forderungsverhalten" wahrnimmt.

Er vermutet, dass die Allgemeinmedizin damit ihrem Image bei angehenden Ärzten selbst schadet. Eine Einschätzung, der die Vorstandschefs der beiden gastgebenden KVen, Dr. Monika Schliffke (Schleswig-Holstein) und Walter Plassmann (Hamburg), auch auf Nachfrage nichts entgegenhalten wollten.

Dr. Wolfgang Wesiack, Ehrenpräsident im Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) und früherer KV-Vorstand in Hamburg, bestätigte den jungen angehenden Kollegen: "Wir kommen aus einer Dekade des Jammerns." Es sei falsch, immer nur auf das Negative zu verweisen.

Dies gelte nicht nur für die Allgemeinmedizin, sondern für die meisten Fachgruppen. Wesiack gab auch zu bedenken, dass sich eine große Mehrheit der schon niedergelassenen Ärzte wieder zu diesem Schritt entschließen würde.

Sukhdeep Arora von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland sieht ein Hemmnis für die Niederlassung in der Unkenntnis. "Medizinstudenten müssen kennenlernen, wie vertragsärztliche Tätigkeit aussieht. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt, wenn wir uns niederlassen." Das könnte auch daran liegen, dass viele schon bestehende Angebote nicht wahrgenommen werden.

Schliffke zeigte, was unternommen wird, um den Nachwuchs von der Niederlassung zu überzeugen: Junge Kollegen erhalten vor Ort Einblicke in kooperative Organisationsformen, werden über Seminare fit gemacht für die eigene Praxis oder bekommen persönliche Beratungen. Das hilft aber nur, wenn der Standort stimmt.

Land kommt nicht in Frage

Hamburgs KV-Vorstand Dr. Stephan Hofmeister zeigte, dass trotz einer persönlichen Vorliebe für das Land eine Tätigkeit außerhalb einer Großstadt für seine Familie nicht in Frage kommt: "Land ist nicht durchsetzbar, auch nicht mit Geld." Auch in der Metropole gibt es solche Standorte, die von vielen Ärzten gemieden werden.

Ein Beispiel ist Mümmelmannsberg in Hamburg, wo laut Dr. Guido Tuschen von der dortigen Stadtteilklinik um jeden Mediziner gerungen werden muss.

Und selbst wenn Standort, Geld und Lobbyarbeit stimmen, gibt es noch immer Hürden, wie Dr. Kevin Schulte, Sprecher im Bündnis junger Ärzte, mit Blick auf ständig neue Gesetze und Vorschriften deutlich machte: "Gefühlt ändert sich alles im Wochentakt."

 

Lesen Sie dazu auch den Kommentar Viel zu lange gejammert

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Kommentare
Thomas Georg Schätzler 14.02.201719:39 Uhr

Aktuell auf Twitter

@aerztezeitung "Kassenarzt"-Funktionäre, Banken und Institute wecken unrealistische Umsatzerwartungen für Hausarztpraxen: Viel Unbezahltes!

Thomas Georg Schätzler 13.02.201717:42 Uhr

Zahlenmanipulationen von ZI und APO-Bank?

Wie ich die niedergelassene Allgemeinmedizinerin und Kollegin aus Lübeck verstehen kann!!!

Sie beklagte sich vollkommen zu Recht, dass ausgerechnet die Deutsche Apotheker- und Ärztebank (APO-Bank) irrelevante Zahlen über bundesweite Durchschnittsverdienste ihrer und anderer Fachgruppen präsentiert, die mit der betriebswirtschaftlichen Realität ihrer e i g e n e n Bankkunden nicht übereinstimmt. Sie stellte ebenso wie ich mit Befremden fest, wie weit sie selbst von diesen Durchschnittswerten entfernt ist – ohne Aussicht, mit ihrer Praxis solche Werte jemals erreichen zu können.

Die Ursachen der Fehlbewertungen von Hausarzt-, Facharzt- und Spezialarzt-Praxen und den Einkünften aus freiberuflicher ärztlicher Tätigkeit liegen am fahrlässigen Ignorieren von betriebswirtschaftlichen DATEV-Auswertungen (DATEV-BWA) der Steuerberater: Denn nur damit können realistische Einnahmen-Ausgaben-Überschuss-Berechnungen erfolgen, die Konto-Umsatz-Zahlen der Banken haben damit nichts zu tun.

Musterbeispiel für die laufende Desinformation in der Honorardebatte ist auch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) mit seinem irreführenden ZI-Praxis-Panel. Vgl.
http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/aerztliche_verguetung/article/928786/24-fachgruppen-vergleich-verdienen-niedergelassene-aerzte.html
Daten beziehen sich auf das Jahr 2014 Quelle: Zi-Praxis-Panel 2015

Insgesamt waren 2.335 Radiologen im niedergelassenen Sektor tätig (zum 31.12.2015); zusätzlich ca. 500 als angestellte Röntgenfachärzte. http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Statistik2015/Stat15Tab08.pdf
Bei dieser sehr kleinen Fachgruppe mit einem knappen Fünftel angestellter Kollegen/-innen gibt das ZI durchschnittliche Praxis-Inhaber-Einnahmen von 1.061.600 €, Aufwendungen von 712.700 € und einen Jahresüberschuss beim Facharzt für Radiologie von 348.800 € an.

Beim Schlusslicht Psychotherapie werden Einnahmen von 100.600 €, Aufwendungen von 29.900 € und ein durchschnittlicher Jahresüberschuss von 70.700 € angenommen.

Zum 31.12.2015 waren ohne Gebietsbezeichnung 7.383, als Fachärzte für Allgemeinmedizin 32.606 und als Fachärzte für Innere Medizin 20.231 (davon ein hoher Anteil als hausärztliche Internisten) in Deutschland niedergelassen.

Der große Block der Allgemeinmediziner hatte laut ZI im Durchschnitt Einnahmen von 291.200 €, Aufwendungen von 132.900 € und einen Jahresüberschuss von 158.200 €. Nach welchen Aufgreifkriterien die verschiedenen Vertragsarztpraxen und -Fachrichtungen vom ZI gelistet und bewertet wurden, bleibt nebulös: Anonymisierte DATEV-Unterlagen der Steuerberater waren es jedenfalls nicht.

Wesentlicher Kritikpunkt am "Datensalat" des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI): Bei dem berichteten Durchschnitt aller Fachgruppen mit Einnahmen von 302.500 €, Aufwendungen von 146.300 € und einem Jahresüberschuss von 156.200 € handelt es sich offensichtlich um ein statistisch völlig abwegiges, un-gewichtetes arithmetisches Mittel und n i c h t um statistisch korrekt gewichtete Medianwerte. Zahlenmäßig extrem unterrepräsentierte, aber umso Überschuss-trächtigere Fachgruppen ziehen den "Durchschnitt aller Fachgruppen" in krasser Fehlberechnung irreführend nach oben.

Einen "gemeinsamen Nenner" zwischen Jahresüberschüssen von 70.700 € (Psychotherapie) und 348.800 € (Radiologie) kann es einfach nicht geben. Und "last but not least", liebe Leserinnen und Leser der Ärzte Zeitung, fällt Ihnen vielleicht noch etwas auf? Ja, wo sind denn bloß die Fachärzte für Labormedizin geblieben?

Würde man die auch in eine arithmetische ZI-"Milchmädchenrechnung" mit einbeziehen, wäre der Pseudo-"Durchschnitt aller Fachgruppen" noch um etliches höher ausgefallen - und das ZI hätte sich damit vollends unglaubwürdig gemacht.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Matthias Peisler 13.02.201713:01 Uhr

Zu spät!

"Lobbyarbeit der Verbände und Körperschaften. Spürbar bemühen sich diese ..."
Zu spät! Zu spät!
Wer klug ist geht bereits ins Ausland - und wird die KVen und Funktionäre als das begreifen was sie wirklich sind: Lobbyisten - Interessen am Kernleister und Patientenbetreuer haben nur die Berufs(gruppen)Verbände.
Nehme einen mutigen Gesundheitsminister/in und beschliesse gerne auch mal mit fragwürdigem Dekret: Entmachtung der KVen - und Geld und Macht an uns Kernleister:
Wir Ärzte sind NICHT schuld, dass es in Deutschland nicht mehr attraktiv ist freiberuflich als Arzt zu arbeiten.
´Die allmächtigen KVen legen Brände und wollen diese löschen: Das ist abtrünnig!
Trotz Mut und Hoffnung sehen viele Ärzte die Zukunft in Polikliniken für das Volk - Ärztliche Fürsorge aber nur noch in Privatpraxis.
Wann wachen die KV-Günstlinge auf um zu bemerken, dass weder Mann noch Frau noch Ärztin noch Arzt sie brauchen.
Leidenschaftsvoll aus der Infektprechstunde
MP




Wolfgang Bensch 13.02.201711:02 Uhr

Dekadejammerer Wesiack

Der Kollege hat bekanntlich mehr Jahre als nur die letzte Dekade in massgeblichen Funktionärsposten bzw. Spitzenpositionen in Körperschaften und einem Internistenverband verbracht.
Hat er dabei jemals fachübergreifend nicht nur an Internisten gedacht und ist er gar mit originellen Ideen für Änderungen aufgefallen?
Wann werden Spitzenfunktionäre rund um den Herbert-Lewin-Platz in BERLIN von der Realität überrollt?
Dieser Zeitpunkt könnte im Jahr der Bundestagswahl mit dem Motto "soziale Gerechtigkeit" bei der SPD erreicht sein.

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