TK-Innovationsreport
Herrscht in der Demenzforschung Stillstand?
Die Techniker Krankenkasse (TK) kritisiert, in der Demenzforschung herrsche Stillstand. Sie fordert verstärkte Anstrengungen – und Anreize für die Industrie.
Veröffentlicht:BERLIN. Resignation in der Forschung, Unter- und Fehlversorgung in der Therapie – so lautet das Fazit des diesjährigen Innovationsreports der Techniker Krankenkasse (TK). Der Report, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, hat den Schwerpunkt Demenz.
Derzeit sind in Deutschland 1,2 Millionen Menschen von Alzheimer-Demenz betroffen, in den Industrienationen sind es 15 Millionen. Die Zahl der Erkrankten könnte sich bis 2030 auf 75 Millionen verfünffachen.
Kontrastierend zu diesem wachsenden Markt nehmen die Forschungsanstrengungen jedoch ab, beklagten der Studienautor Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen und der TK-Vorstandsvorsitzende Jens Baas bei der Präsentation des Reports. Sie bedauerten, dass der Arzneimittelhersteller Pfizer sein Engagement in diesem Jahr eingestellt hat. Auch Eli Lilly habe jüngst die Entwicklung des Wirkstoffs Solanezumab beendet. Nur noch Biogen scheine mit dem Wirkstoff Aducanumab "auf einem guten Weg" zu sein, so Glaeske.
Wenig Hoffnung auf Durchbrüche
Gegenwärtig seien noch etwa 20 Substanzen in der Entwicklung; allerdings sieht Glaeske wenig Hoffnung auf therapeutische Durchbrüche. Es sei bislang nicht gelungen, mit erheblichen Anstrengungen der Grundlagenforschung tragfähige Theorien zu entwickeln, die zu neuen therapeutischen Ansätzen führten. Baas forderte die Industrie auf, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu stellen und auch in jenen Bereichen zu forschen, in denen dringend neue Therapien benötigt würden.
Kritisch beurteilt Glaeske die aktuelle Arzneimittelversorgung von Menschen mit Alzheimer-Demenz. Grundlage ist eine Auswertung von Verordnungsdaten der TK. Trotz vorsichtig positiver Bewertungen auch des IQWiG würden die derzeit verfügbaren Antidementiva – neben Memantin und Ginkgo-Präparaten Azetylcholinesterasehemmer zu selten und zu spät eingesetzt.
Den höchsten Versorgungsgrad mit Antidementiva erreichen Patienten im Alter von 75 bis 79 Jahren mit knapp 30 Prozent. Von den 65- bis 69-jährigen Demenzpatienten erhalten nur 23 Prozent ein Antidementivum. Um die Krankheitssymptome zu mildern, sei aber eine frühzeitige Behandlung in Kombination mit aktivierender Pflege notwendig.
Stattdessen erhielten zu viele Demenzpatienten zu häufig und zu lange Neuroleptika und Benzodiazepine, kritisiert Glaeske. Auffällig, aber kaum erklärbar, seien regionale Unterschiede. So werden den Patienten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern und im Saarland rund ein Drittel mehr Neuroleptika und Benzodiazepine verordnet als in den neuen Bundesländern (41 Prozent zu knapp über 30 Prozent).
Bilanz besser als in den Vorjahren
Andererseits erhalten Demenzpatienten im Osten sehr viel häufiger – im Schnitt rund 30 Prozent – Antidementiva als in Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen (17,3 bis 21,6 Prozent). Die Hauptverantwortung für die Arzneimitteltherapie dieser Patienten liegt zu über 80 Prozent bei Hausärzten, Psychiatern und Neurologen.
Darüber hinaus haben die Autoren des Reports – neben Glaeske der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Professor Wolf-Dieter Ludwig – den innovativen Stellenwert der 32 im Jahr 2015 neu eingeführten Arzneimittel aus aktueller Sicht beurteilt. Davon erhielten sechs Wirkstoffe eine grüne Nutzen-Ampel, zwei Wirkstoffe eine grüne Kosten-Ampel. Die Innovationsbilanz fällt damit besser aus als in den Vorjahren.
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller kritisierte den TK-Report. Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des vfa, entgegnete der Kritik von Baas und Glaeske: "Ein Viertel der Mitgliedsfirmen des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller forscht auch weiterhin an neuen Medikamenten gegen Alzheimer." Fischer monierte, die TK komme seit Jahren zu schlechten Gesamturteilen – "schlechter als andere Instanzen des Gesundheitswesens. Alles bei der TK wirkt wie eine Blaupause zur Einschränkung des Versorgungsniveaus gesetzlich Versicherter."