Rückenschmerzen tun der Wirtschaft weh

Wer sich nicht an die Therapie seines Arztes hält, schadet nicht nur sich selbst, sondern der gesamten Republik. Denn der deutschen Wirtschaft gehen dadurch bis zu 75 Milliarden Euro verloren, hat jetzt eine Studie ergeben. Experten empfehlen, Ärzte mit höheren Honoraren zu ködern.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Aua: Rückenschmerzen tun auch der Wirtschaft weh.

Aua: Rückenschmerzen tun auch der Wirtschaft weh.

© Udo Kroemer / fotolia.com

GÜTERSLOH/BERLIN. Eine bessere Therapietreue von Patienten mit chronischen Erkrankungen hilft, in Deutschland Ausgaben in Milliardenhöhe zu vermeiden.

Ärzte, Kassen, Unternehmen und Politiker sollten angesichts gut gefüllter Sozialkassen die Chance nutzen und in entsprechende Programme investieren.

Das ist die Kernbotschaft eines gemeinsamen Gutachtens der Bertelsmann-Stiftung und des Beratungsunternehmens Booz & Company, das am Montag veröffentlicht wurde.

Die Wissenschaftler haben die volkswirtschaftlichen Kosten fehlender Therapietreue am Beispiel von fünf Krankheiten untersucht.

Diese addieren sich bei Patienten mit Depressionen, chronischen Rückenschmerzen, Asthma, Bluthochdruck und Gelenkrheuma laut Gutachten auf jährlich 38 bis 75 Milliarden Euro.

Spitzenreiter Rückschmerz

Am höchsten werden die Folgekosten durch Produktivitätsverluste bei chronischen Rückenschmerzen eingeschätzt (neun bis 26 Milliarden Euro), Patienten mit Depressionen verursachen durch Arbeitsunfähigkeit oder reduzierte Produktivität volkswirtschaftliche Kosten von zehn bis 21 Milliarden Euro pro Jahr.

Die Gründe, warum ein Behandlungsplan nicht eingehalten wird, sind je nach Erkrankung, Bildungsstand und anderen soziodemografischen Merkmalen eines Patienten sehr unterschiedlich.

Fehlende oder missverstandene Information, unzureichende Motivation oder mangelnde Unterstützungs- und Beratungsangebote im Lebensumfeld des Patienten sind drei wesentliche Faktoren.

Nach Ansicht der Gutachter könnte eine bessere Therapiebegleitung der Patienten die Volkswirtschaft stärken - bis zu 20 Milliarden Euro mehr könnten in Deutschland so erwirtschaftet werden.

Denn die Kosten des Produktivitätsverlustes sind bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen und Depressionen viel höher als die medizinischen Behandlungskosten.

Wirkung erst langfristig

Bei den anderen untersuchten Erkrankungen (Gelenkrheuma, Asthma und Bluthochdruck) überwiegen dagegen die Behandlungskosten im Vergleich zu den volkswirtschaftlichen Folgekosten.

Wer Abhilfe schaffen will, steht vor einem Dilemma: Gesundheitssystem und Arbeitswelt sind zu wenig verknüpft.

Profitieren würden vor allem Unternehmen und Sozialkassen von einer besseren Therapietreue ihrer Beschäftigten und Versicherten.

Dagegen gehen Ärzte, Pflegemitarbeiter und Vertreter anderer Gesundheitsberufe im gegenwärtigen Vergütungssystem leer aus, wenn sie sich besonders für die Compliance der Patienten engagieren.

Hinzu kommt: Kurzfristig könnten für Kassen höhere Kosten entstehen, Vorteile etwa durch geringere Krankengeldzahlungen entstehen allenfalls langfristig.

Die Gutachter-Autoren schlagen vier Hebel vor, um die Patientenbegleitung mit dem Ziel größerer Therapietreue voranzubringen:

Wirtschaftliche Anreize für Ärzte, Pflegemitarbeiter und Patienten: Als Beispiel nennen die Autoren eine Gebührenordnungsziffer, die Ärzte unmittelbar für den Zeiteinsatz bei der Beratung von Patienten honoriert.

Aktive Beteiligung von Arbeitgebern, Kassen und anderen Kostenträgern: Auf welchem Wege dies geschehen könnte, sagen die Studienautoren nicht - sie stellen nur Fragen.

Neue "Geschäfts- und Servicemodelle im Gesundheitswesen" sollten etabliert werden, auf die Ärzte zurückgreifen können. Diese sollten dazu dienen, Patienten bei der Therapie-Einhaltung individuell zu unterstützen.

Als Stichworte werden "Care-Management- und Patienten-Coaching-Angebote" genannt.

Die Versorgungsforschung sollte neu ausgerichtet werden, um Effekte der Therapietreue besser als bisher zu messen. Trotz vieler Studien sei die Datenlage hierzu unzureichend.

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Kommentare
Dr. Fritz Gorzny 11.07.201211:19 Uhr

Ursache Rückenscherz: der PC Arbeitsplatz

Ein Millionenheer von Beruftätigen aber auch Privatpersonen verbringen einen Großteil des Tages am PC. Die Arbeit am PC ist aber Lesetätigkeit, bei de der Blick gesenkt und die Augen konvergieren müssen. Dafür ist in der Regel der Bildschirm aber viel zu hoch positioniert, sodaß der PC Nutzer um in die Leseposition zu gelangen das Kinn anheben muß. Dabei wird der Nacken überdehnt, die Muskulatur verspannt sich und ein circulus vitiosus setz ein mit Nacken - Kopf - und Rückenschmerzen, rascher Ermüdbarkeit und letztlich Burnout-Syndrom.
Eigentlich sollten diese Zusammenhänge den zuständigen Arbeitsmedizinern bekannt sein, gibt es doch schon seit Jahrzehnten einen entsprecheugenärzte Fleyer des Berufsverbandes der Augenärzte in riesiger Auflage.Die Situation verschärft sich zusätzlich, wenn der PC-Nutzer eine Mehrstärkenbrille benötigt. Um durch den Nahteil sehen zu können , muß das Kinn noch mehr angehoben werden.
Eine ergonomisch vernünftige Sitz- und PC-position und eine arbeitsplatzbezogene Brille könnten die Probleme schlagartig lösen. Die Betroffenen PC-User wären beschwerdefrei und die astronomischen Behandlungskosten und Ausfallzeiten könnte drastisch reduziert werden.Leider ist das Wissen um diese Zusammenhänge den PC Designer zum Opfer gefallen, wie ich aus unzähligen Beobachtungen selbst in den Büroräumen von Krankenkassen feststellen konnte.Spricht man die Betroffenen an, zeigen sie sich überrascht, nehmen aber dankbar die Verbeesserungvorschläge an.
Davon abgesehen könne falsche oder fehlende Brillenkorrektionen und vor allem Störungen des beidäugigen Sehens im Sinne einer sog."Winkelfehlsichtigkeit" die gleichen Probleme auslösen.
Bevor also eine Schmerztherapie eingeleitet wird, sollten der Arbeitsplatz und die Augenfunktionen unter die Luper genommen werden

Wolfgang Ebinger 10.07.201208:26 Uhr

Wer ist dafür verantwortlich?

Das Thema "Rückenschmerzen" begleitet uns in unserer sog. zivilisierten Welt doch eigentlich schon lange genug, um die richtigen Weichenstellungen hin zu einer positiveren Entwicklung stellen zu können. Aber was geschieht? Nichts. Die Verantwortung für das Problem wird immer nur den anderen angelastet, statt selbst aktiv zu werden.
Beispiel Büroarbeitsplatz:
Wer stattet den Arbeitsplatz aus (noch ist alles gut)? Der Arbeitgeber.
Wer bezahlt Rückenkurse (du hast Schmerzen)? Die Krankenkasse.
Wer finanziert einen höhenverstellbaren Schreibtisch (es steht schlimm um dich)? Die Rentenkasse.
Wer zahlt eine Bandscheiben-OP (es ist zu spät für Prävention)? Die Krankenkasse.
Und wo ist die Verantwortung des Betroffenen? Wann wird der denn aktiv? Nie! Ist das Problem gelöst? Nein!
Also: Jeder muss selbst etwas unternehmen, um seinem eigenen Problem der Rückenschmerzen entgegen zu kommen.
Ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe seit einiger Zeit einen sog. "Desk-Desk" auf meinem Schreibtisch stehen und arbeite nun häufiger im Stehen. Wer hat ihn bezahlt? Ich natürlich selbst! Wer hat den Vorteil davon? Ich selbst!
Was lernen wir draus? Jeder muss den Mut haben, frühzeitig für sich und sei Problem - soweit es jedem irgend möglich ist - Verantwortung zu übernehmen und aktiv zu werden, selbst, wenn es auch mal den einen oder anderen Euro aus eigener Tasche kostet.

Norbert Meyer 10.07.201207:22 Uhr

Offensichtlich noch nicht genug der Rückenschmerzen

Als Physiotherapeut mit bewährten Mitteln ausgestattet versorge ich doch fast nur noch Selbstzahler und PKV Patienten diesbezüglich.
Der GKV bleibt auf der Strecke , das Elend in meiner Umgebung sehe ich täglich auf der Str.
Solange unnütze Rückenschulen hoffiert werden und Rückenzentren ebenfalls wird sich daran nichts ändern. Methoden die an die Wurzeln gehen gibt es, doch bisher kaum Interesse weder von den Kassen noch von unseren Ärzten!
Von 380 versorgenden Ärzten in 22 Jahren Tätigkeit war es ein Manualtherapeut und eine Neurologin die sich für diese Therapie überhaupt nachhaltig interessierten

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