Kommentar – Kommentar zum Termineservice- und Versorgungsgesetz
Ein Gesetz mit Kollateralschäden
Minister Spahn dürfte sein TSVG als großen Erfolg feiern. Für viele andere bringt es hingegen enorme Kollateralschäden.
Veröffentlicht:Endlich, die Messe ist gesungen. Der Bundestag hat das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) verabschiedet, im Bundesgesetzblatt kann sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bald sein Opus nochmals in Ruhe durchlesen. Und dann Haken dran? Leider nein.
Bei der Gesetzgebung zum TSVG ist ein beträchtlicher Kollateralschaden entstanden. Vertragsärzte beklagen sich über immer kleinteiligere Vorgaben ebenso wie Kassenvertreter. Dabei geht es um mehr als das übliche Geklapper von Interessengruppen.
In Spahns wiederholten Interventionen wird nicht nur die Ungeduld des jungen Ministers erkennbar, der sich gerne als Macher sieht. Das Problem wurzelt tiefer. Spahn erkennt in der Selbstverwaltung offenbar primär eine staatliche Auftragsverwaltung.
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen kommt nicht in die Gänge? Spahn reorganisiert kurzer Hand die gematik und verschafft seinem Haus als Staatskommissar mit 51 Prozent die Stimmenmehrheit.
Die Beratungen im Gemeinsamen Bundesausschuss über einzelne Leistungen – Beispiel Liposuktion – dauern scheinbar endlos? Der Minister lanciert unabgestimmt mit seiner Fraktion einen Änderungsantrag, der einen Bypass um den GBA legen sollte. Statt medizinischer Evidenz entscheidet der Minister selbst – die Eminenz zählt. Spahns verstörte Fraktionskollegen haben den Antrag zwar geräuschlos von der Tagesordnung geräumt.
Einen Teilerfolg erzielte der Minister mit seiner Rammbockmethode schon. Für Patientinnen mit Lipödem Stadium III wird die Liposuktion ab 2020 zunächst befristet Kassenleistung – ein klassischer politischer Deal.
Es gibt offenbar grundsätzlichen Gesprächsbedarf
Menschen aus Westfalen gelten als Sturköpfe. Daher macht der Mann aus Ahaus im Entwurf für das Implantateregister-Gesetz gleich einen neuen Anlauf: Ist eine neue Behandlungsmethode „nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin vertretbar“ und der GBA spurt nicht, dann wird sie halt per Rechtsverordnung zur Kassenleistung.
Gesundheitspolitiker aus Union und SPD dürfen es nicht länger beim leisen Kopfschütteln belassen. Es gibt offenbar einen grundsätzlichen Gesprächsbedarf: Selbstverwaltung steht in Deutschland für gelebte Demokratie und für Staatsferne.
Soll das Gesundheitswesen anders organisiert werden? Soll es staatsnaher werden, damit politische Verantwortung wieder stärker fassbar wird und nicht in den Gremien der Selbstverwaltung verdampft? Der Meinung kann man sein, sollte dann die Konsequenzen eines solchen Systemwechsels aber vom Ende her denken.
Würdiger Platz für eine solche Debatte wäre der Bundestag. Da kann der BMG-Chef dann ganz grundsätzlich Position beziehen – müsste aber auch Antworten auf kritische Fragen liefern.
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