Spahns TSVG beschlossen
Koalition ist erfreut – Ärzteschaft verärgert
Das Termineservice- und Versorgungsgesetz hat seine letzte Hürde genommen. Die Koalition sieht darin wegweisende Maßnahmen auf dem Weg zu einer besseren Gesundheitsversorgung – die Ärzte beklagen einen massiven Eingriff in die Praxisorganisation.
Veröffentlicht:BERLIN. Schnellerer Zugang zu Facharztterminen, perspektivisch bessere Gesundheitsversorgung auch auf dem Land, Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens: Das verspricht das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), das der Bundestag am Donnerstagvormittag mit der Mehrheit der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Oppositionsparteien beschlossen hat.
„In einem lebenswichtigen Bereich wie der Gesundheitsversorgung muss der Staat funktionieren. Da besser zu werden ist das Ziel unseres Gesetzes“, kommentierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Ende eines langen und von Kontroversen mit der Ärzteschaft begleiteten Gesetzgebungsprozesses.
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Professor Karl Lauterbach, sagte, er hätte das Werk „Gesetz zum Abbau der Zweiklassenmedizin“ getauft. Das TSVG sei ein gutes Gesetz.
Das Gesetz kann damit zum 1. Mai in Kraft treten, es ist im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Zahlreiche Paragrafen entfalten Fernwirkung.
Das steht im TSVG
Das Terminservice- und Versorgungsgesetz soll helfen, die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Das sind die Kernpunkte des TSVG.
Das reicht von der Bedarfsplanungsrichtlinie, die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) am 1. Juli 2019 vorgelegt haben muss, bis zur Verpflichtung der Krankenkassen, ihren Patienten bis zum 1. Januar 2021 eine elektronische Patientenakte (ePA) anzubieten.
BÄK: "Staatliche Vorgaben zur Praxisführung helfen niemandem"
Ärzteverbände kritisierten nach der Verabschiedung die kleinteiligen Eingriffe des Gesetzgebers bis hinein in die Organisation der Arztpraxen.
Die selbst gesteckten Ziele der Koalition sieht der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Professor Frank Ulrich Montgomery, sogar in ihr Gegenteil verkehrt: „Staatliche Vorgaben zur Praxisführung helfen niemandem, sie halten aber junge Ärztinnen und Ärzte von der Niederlassung ab.“
So hat sich der Gesetzgeber zum Beispiel mit der Vorgabe, die Kassenzulassung künftig an ein Angebot von 25 Sprechstunden pro Woche für gesetzlich Versicherte zu knüpfen, an die Stelle der Manteltarifpartner gesetzt. Statt von der Koalition dazu verpflichtet zu werden, fünf offene Sprechstunden in der Woche anzubieten, hätten die Fachärzte die Bedarfe auf regionaler Ebene lieber selbst definiert und ausgehandelt.
Dass die Mehrleistungen mit Mehrvergütung einhergehen, werten die Ärzte dagegen positiv. Gehandelt werden Beträge zwischen 600 Millionen bis 1,2 Milliarden Euro im Jahr. Wie viel genau herauskomme, sei unklar, hieß es am Donnerstag bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Hausärzteverbands-Chef Ulrich Weigeldt begrüßte die Stärkung der Hausarztzentrierten Versorgung durch eine verpflichtende Bonifizierung der Patienten. Nur in der HzV sei eine Strukturverbesserung der Patientenversorgung wirklich festzustellen. Es bleibe abzuwarten, wie die Kassen damit umgingen.
Zugriff der Politik auf die Selbstverwaltung kritisiert
„Mit dem TSVG gelingt erstmals seit ,Lahnstein‘ der Einstieg in die Entbudgetierung. Die Bedeutung der grundversorgenden Fachärzte wird festgeschrieben und die koordinierende Funktion des Hausarztes gestärkt. Diese jahrelange Forderung der niedergelassenen Ärzte ist allerdings verbunden mit weiteren gravierenden Eingriffen in die Organisation der Praxen und einer fortgesetzten Beschneidung der ärztlichen Selbstverwaltung“, sagte Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des NAV-Virchowbundes.
Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, erinnerte daran, dass Eigeninitiative und Verantwortung in der ärztlichen Selbstständigkeit unverzichtbare Elemente der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen flächendeckenden medizinischen Versorgung seien. „Jeder unangemessene politische Eingriff schwächt deshalb unmittelbar auch unser Gesundheitssystem“, sagte Reinhardt.
"Noch mehr Leistungen kann es nur geben, wenn diese auch bezahlt werden“, sagte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Diese an sich simple Erkenntnis sei nun von Minister Jens Spahn mit dem TSVG in Gesetzesform gegossen worden. „Wie viel Geld mehr es am Ende sein wird, weiß heute allerdings noch niemand, sagte Gassen.
Er kritisierte, dass das Versorgungsgesetz in die Praxisabläufe eingreife und mehr Gängelung im Praxisalltag mit sich bringe.
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