Strategietag Zucker
Im Kampf gegen ungesunde Ernährung ist Eile geboten
Immer mehr adipöse Kinder – es muss etwas geschehen. Hamburg hat ein Maßnahmenpaket geschnürt, aber auch die Bundesebene ist gefordert.
Veröffentlicht:HAMBURG. Für Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl ist Deutschland ein „Gemüse- und Ballaststoffmangelland.“ Nicht wegen mangelnder Verfügbarkeit, sondern weil sich die Deutschen schlicht falsch ernähren. Zu den schlimmsten Fehlern zählt für ihn neben dem Verzicht auf Gesundes auch ein zu hoher Zuckerkonsum.
Auf dem Strategietag „Bitte nicht zu süss!“, den die Hamburger Gesundheitsbehörde ausrichtete, rannte Riedl mit seinen Ernährungstipps offene Türen ein.
Neu waren den meisten Teilnehmern weder Riedls Empfehlungen, noch die Erkenntnis, dass die Lebensmittelindustrie in den vergangenen Jahren kaum dazu beigetragen hat, den „versteckten“ Zucker in verarbeiteten Lebensmittels besser kenntlich zu machen oder ihn in geringeren Mengen zu verwenden.
Maßnahmen auf Landesebene
Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hat nun genug. „Auf Selbstverpflichtungen und den guten Willen der Industrie zu setzen, wie die Bundesregierung es tut, reicht nicht“, sagte sie auf dem Strategietag.
Sie forderte die Einführung einer Zuckersteuer und einer Nährwertampel auf Lebensmittelverpackungen sowie dem Verbot von Werbung, die gesüßte Kinderprodukte als gesund verkauft. In Babynahrung sollte Zucker komplett verboten und für Fertiglebensmittel und Getränke verbindliche Zucker-Reduktionsziele festgelegt werden.
All dies sind Maßnahmen, die auf Bundesebene passieren müssten. Auf Landesebene reagiert Hamburg mit einer „Zuckerreduktionsstrategie“. Sie beinhaltet folgende Maßnahmen:
- Ab 2021 soll auf die Ausgabe von gezuckerten Getränken in Kindertagesstätten ganz verzichtet werden.
- In allen Kindertagesstätten und Schulen soll Trinkwasser kostenlos verfügbar sein. An den Schulen werden Trinkwasserbrunnen schrittweise eingeführt.
- Zuckergesüßte Milchgetränke sollen aus der Schulmilchförderung herausgenommen werden.
- Lehrkräfte, Erzieher, Eltern, Kinder und Caterer sollen für das Thema sensibilisiert werden.
Ein wichtiger Schritt für die Sensibilisierung war der Strategietag, auf dem Prüfer-Storcks für eine niedrigere Besteuerung gesunder Lebensmittel eintrat.
Sie verwies auf erfolgreiche Beispiele: „Nachdem die Politik 2004 die bei Jugendlichen beliebten Mischgetränke „Alcopops“ mit einer Sondersteuer belegte, sank der Absatz binnen eines Jahres um 80 Prozent.“
Beispiele aus Frankreich und Großbritannien zeigten außerdem, dass nach einer höheren Besteuerung die Zuckergehalte innerhalb von ein bis zwei Jahren um bis zu 65 Prozent gesunken seien.
Riedl begrüßte das Eintreten Hamburgs für reduzierten Zuckereinsatz genauso wie Dr. Thomas Fischbach. Der Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland hat den Eindruck, dass die Lebensmittelindustrie auf Zeit spielt – was für die Kinder fatal ist: „Wir werden die Erwachsenen kaum ändern, sondern müssen die jungen Menschen erreichen“, sagte Fischbach und drängte: „Es muss schnell gehen.“
Er verwies in diesem Zusammenhang auf den Anteil an adipösen Kindern in den pädiatrischen Praxen. Auch Riedl betonte den Handlungsdruck: „Kinder sind schon geprägt, wenn sie in die Kita kommen, und zwar von ihren Eltern.“
Unterstützung erhielt diese Linie auch von Jens Martin Hoyer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, und von Dr. Tobias Effertz von der Universität Hamburg.
Einsatz harter Bandagen legitim
Erfahrungen mit erfolgreicher Lobbyarbeit der Lebensmittelindustrie hat auch Silke Schwartau von der Hamburger Verbraucherzentrale gesammelt.
Die Abteilungsleiterin Lebensmittel und Ernährung warf Lobbyisten vor, mit Unwahrheiten zu arbeiten. Sie begrüßte deshalb nicht nur „konsequentes politisches Handeln“ wie von Prüfer-Storcks, sondern forderte dies auch als nationale Strategie.
Darüber hinaus hält sie es auch für legitim, mit harten Bandagen zu arbeiten und mit Warnhinweisen wie auf Zigarettenschachteln auf die Risiken hinzuweisen - Slogans wie „Zucker macht zahnlos“ sollten aus ihrer Sicht zumindest diskutiert werden.