Virtueller ASCO
COVID-19 und Krebs: völlig neue Fragestellungen
Die USA haben zeitnah Register und Portale zum Monitoring von Krebspatienten mit SARS-CoV-2-Infektion aufgebaut. Erste Daten wurden jetzt beim virtuellen ASCO-Kongress vorgestellt.
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Krebskrank und gleichzeitig an COVID-19 erkrankt? Onkologen sammeln jetzt Daten, um Betroffene in dieser Situation optimal behandeln zu können.
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Alexandria. Erstmals lässt die American Society of Clinical Oncology (ASCO) ihre Jahrestagung virtuell stattfinden, erstmals in 56 Jahren. Die Fachgesellschaft hat wie viele andere seit Ausbruch der Pandemie durch SARS-CoV-2 so entschieden.
Von einer „extrem großen Herausforderung“ für Tumorpatienten und ihre Versorgung spricht ASCO-Präsident Howard A. Burris, Ärztlicher Direktor des Sarah Cannon Cancer Research Institute in Nashville, Tennessee. „Durch das virtuelle Meeting werden Ärzte und ihre Patienten geschützt“, sagte Burris in einer Web-Pressekonferenz. Zugleich habe die ASCO das Thema „COVID-19 und Malignome“ zu einem Schwerpunkt der Jahrestagung gemacht, obwohl es erst vorläufige Daten aus Studien und Registern gebe.
Register zu COVID-19-Patienten
Die USA haben zeitnah Register und Portale zum Monitoring von Krebspatienten mit SARS-CoV-2-Infektion aufgebaut. Dazu gehört das „COVID-19 and Cancer Consortium“ für den ambulanten und den stationären Sektor (https://ccc19.org/). Von 928 krebskranken Patienten mit COVID-19 sind die Krankheitsverläufe ausgewertet und bei der virtuellen Tagung präsentiert worden (J Clin Oncol 38: 2020; (suppl; abstr LBA110)). Die wesentlichen Tumorentitäten waren Mamma-, Prostata-, Lungen- und gastrointestinale Tumore, außerdem Lymphome. Das durchschnittliche Alter der Patienten betrug 66 Jahre, 43 Prozent hatten eine aktive, progrediente Erkrankung.
Nach einem Follow-up von median 21 Tagen und bis zu sechs Wochen waren 13 Prozent gestorben. „Damit ist die Sterblichkeit bei Krebskranken mit COVID-19 deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung mit COVID-19“, erläuterte Jeremy Lyle Warner, Professor für Hämatologie und Medizinische Onkologie am Vanderbilt-Ingram Cancer Center in Nashville, Tennessee, bei der Präsentation der Daten. Hauptsächliche unabhängige Risikofaktoren für einen tödlichen Verlauf innerhalb von 30 Tagen waren höheres Alter (> 75 Jahre), ein schlechter Allgemeinzustand (ECOG ≥ 2), die Zahl der Komorbiditäten und ein progredientes Malignom.
„Ergebnis nicht überraschend“
Für deutsche Experten wie Carsten Bokemeyer, Direktor der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, kommt das Ergebnis nicht überraschend. Frühere Daten aus China hätten sogar eine noch höhere Sterblichkeit bei Krebskranken mit COVID-19 vermuten lassen. Wichtig sei, woran die Patienten gestorben seien, ob an der Infektion, dem Malignom oder an beidem und welchen potenziellen Einfluss systemische Krebstherapien haben könnten.
Erste Ergebnisse zu diesen Fragen kommen vom internationalen Konsortium TERAVOLT (Thoracic cancERs international coVid 19 cOLlaboraTion) für Patienten mit COVID-19 und Lungenkarzinomen. Die Daten von 428 Patienten stammen aus neun Ländern, in Europa vor allem aus Frankreich, Italien und Spanien. Leora Horn, ebenfalls Hämatologin und Onkologin am Vanderbilt Ingram Cancer Center in Nashville, ist Erstautorin der Studie (J Clin Oncol 38: 2020 (suppl; abstr LBA111)).
Erste Daten von Lungenkrebs-Patienten
Circa 78 Prozent der Patienten hatten ein nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom, fast 80 Prozent waren aktuelle oder frühere Raucher und 42 Prozent hatten einen guten Allgemeinzustand (ECOG 0). Etwas mehr als ein Drittel der Patienten (35 Prozent) starb, davon 79,4 Prozent an einer COVID-19-Erkrankung, 10,6 Prozent an der Tumorerkrankung und 8,5 Prozent an beidem, dem Malignom und der Infektion.
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COVID-19 sei damit bei den gestorbenen Lungenkrebspatienten die hauptsächliche Todesursache gewesen, so Horn. Die Sterblichkeit in dieser Patientenpopulation sei unerwartet hoch gewesen. Risikofaktoren für einen tödlichen Verlauf waren auch hier Alter > 65 Jahre, Komorbiditäten und ein schlechter Allgemeinzustand. Bei den onkologischen Vortherapien waren Zytostatika mit erhöhter Sterblichkeit assoziiert, nicht aber Immuntherapien oder Tyrosinkinaseinhibitoren. Für die COVID-19-Behandlungsformen fanden sich hingegen keine Assoziationen zur Sterblichkeit.
„Diese Daten zu Lungenkrebspatienten mit COVID-19 sind eine erste Orientierung zu den analysierten Fragestellungen“, sagte der ASCO-Generalsekretär Richard L. Schilsky aus Chicago bei einer Web-Pressekonferenz. „Aber die Ergebnisse haben eine hohe Aktualität, sie sind praxisrelevant und sie belegen, wie wichtig es ist, in einer solchen Situation zeitnah Konsortien und Plattformen zu bilden, um Daten zusammenzutragen.“