Amoklauf von München

"Depressionen erklären solche Taten nicht"

Der Amokläufer von München, der Attentäter von Ansbach – beide sollen wegen psychischer Probleme in Behandlung gewesen sein. Experten schließen eine Depression als Erklärung aus. Für sie ist klar: Depressive handeln anders.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Fassungslosigkeit und Trauer. Anteilnehmende fragen sich nach dem „Warum?“ der Bluttaten.

Fassungslosigkeit und Trauer. Anteilnehmende fragen sich nach dem „Warum?“ der Bluttaten.

© Peter Kneffel / dpa

NEU-ISENBURG. Nicht nur die Herkunft der Täter, auch ihr psychischer Zustand sorgt nach den Gewalttaten der vergangenen Tage für Diskussionen.

Die Ermittler gaben beim Amokläufer von München eine "Erkrankung aus dem depressiven Formenkreis" bekannt, der Attentäter von Ansbach soll zuvor zwei Suizidversuche begangen haben und deswegen psychiatrisch behandelt worden sein, der Axt-Attentäter von Würzburg wird in den Medien mal als "psychisch gestört", mal als traumatisiert bezeichnet.

Amokläufe atypisch für Depressionen

Wie so oft bei unfassbaren Gewalttaten wird eine psychische Erkrankung hervorgehoben und damit als Erklärung zumindest angedeutet.

Experten warnen jedoch davor, in psychischen Störungen die Ursache für Amokläufe und Attentate zu sehen. "Einen Zusammenhang zwischen dem Amoklauf in München und einer Depression halte ich für nahezu ausgeschlossen", so Professor Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Universität Leipzig.

"Menschen mit Depressionen neigen zu Schuldgefühlen, das ist ein Kernsymptom der Depression. Solche Personen kommen nicht auf den Gedanken, andere mit in den Tod zu reißen", sagte Hegerl zur "Ärzte Zeitung". Der Psychiater will nicht ausschließen, dass bei dem Amokläufer einmal eine Depression diagnostiziert worden ist – schließlich seien Depressionen in der Bevölkerung sehr häufig.

Der junge Mann habe jedoch sicherlich nicht aus einer Depression heraus seine Tat begangen. "Wer irgendwo herumschreit und herumschießt, ist nicht depressiv, ein Depressiver hätte dazu gar nicht die Energie."

Die Depression biete lediglich eine Erklärung für einen Suizid: Jemand hält das depressionsbedingte Leiden nicht mehr aus, ist hoffnungslos und will anderen keine Last sein. "Ist Aggression im Spiel, so richtet sich diese immer gegen sich selbst." Auch von einem "erweiterten Suizid" könne man bei Gewalttaten wie in den vergangenen Tagen nicht sprechen.

Mordende Eltern: Kinder nicht im Elend zurücklassen

Hiervon spricht man, so Hegerl, wenn etwa eine Mutter in einer schweren Depression und mit einer völlig verzerrten Realitätswahrnehmung das Gefühl hat, das ganze Leben sei ausweglos und eine Qual. Dann tötet sie vielleicht nicht nur sich, sondern auch ihre Kinder, weil sie diese nicht allein im Elend zurücklassen will.

"Dies kommt äußerst selten vor. Hinter solchen schrecklichen Taten stecken altruistische Motive, so grotesk das klingt. Das hat rein gar nichts zu tun mit jemandem, der wahllos mit der Pistole in der Gegend herumschießt", sagt Hegerl weiter.

Der Psychiater warnt daher davor, den Amoklauf als Folge einer Depression darzustellen. "Dies verstärkt die Stigmatisierung depressiv Erkrankter und erhöht die Hürde, sich professionelle Hilfe zu holen." Hegerl sieht auch keine Hinweise, wonach Depressive vermehrt Gewaltstraftaten begehen.

Eine schwedische Registeranalyse hatte vor Kurzem in diese Richtung gedeutet (wir berichteten).

Unsichere Diagnosen: Von mildernden Umständen zu manischen Depressionen

Hegerl: "Das war jedoch keine prospektive Studie, und die Diagnosen waren unsicher. Vielleicht wurde ja bei den Strafprozessen die Depressionsdiagnose häufiger gestellt, etwa vor dem Hintergrund möglicher mildernder Umstände. Auch könnte die Depression bei einer manisch-depressiven Erkrankung aufgetreten sein. Rutschen diese Menschen später in eine Manie, dann können sie durchaus mal in eine Schlägerei geraten."

Eine prospektive Studie aus dem Jahr 2009 habe dagegen kein erhöhtes Risiko für Gewalttaten durch Depressive ergeben. Einen "depressiven Modus" bei solchen Gewalttaten hält auch Professor Manfred Wolfersdorf, Chefarzt der Psychiatrischen Klinik in Bayreuth, für unwahrscheinlich.

Depressive sterben meist alleine, sagte der Psychiater nach dem Germanwings-Absturz im vergangenen Jahr und vermutete damals Rache oder ein verletztes Wertegefühl als Ursache. War dies auch beim Münchener Amokschützen der Fall?

Nach Angaben von Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch hat David S. den norwegischen Massenmörder Breivik verehrt und einem Bekannten gegenüber geäußert, "er hätte einen Hass auf Menschen".

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Kommentare
Rainer Fink 27.07.201609:39 Uhr

Depression und Amok

Es war an der Zeit, diesem unverantwortlichen Umgang der Medien mit der Diagnose Depression entgegenzutreten. Ich hätte schon längst einen viel größeren Aufschrei der Ärzte/Psychiater erwartet.
Es ist eine Zumutung für depressive Patienten, den Delinquenzverdacht gleich mit angehängt zu bekommen.

Andererseits halte ich es für unverantwortlich, sich bei psychiatrischen Diagnosen die Persönlichkeitsdimension zu vernachlässigen, da gerade sie entscheidend für das Verhalten des Patienten sein kann.

Petra Urbach 27.07.201607:49 Uhr

Nein, dahinter steckt keine "Depression"

Genau dieser Meinung (ohne diverse Studien zu kennen) bin ich auch. Um sich als jugendlicher Schüler Geld zu beschaffen, sich über dunkle Kanäle eine illegale Waffe zuzulegen plus illegale Munition in großer Menge, eine solche Tat zu planen, vermutlich auch mit der Waffe zu üben, dazu bedarf es beträchtlicher Energie und Initiative. Und die hat ein im medizinischen Sinne Depressiver nicht. In meinen Augen war es eine Terrortat und durch nichts zu "entschuldigen".

Horst Grünwoldt 26.07.201623:27 Uhr

Migrations-Hintergründe

Einzelne junge Menschen, die in Europa als Nachfahren früherer Einwanderer aufgewachsen sind, werden dieser Tage als Massenmörder auffällig. Das zeigen uns die gehäuften tragischen Vorfälle in der Öffentlichkeit Frankreichs, Großbritanniens, und nun auch in Deutschland in den Jahren 2015/16.
Gemutmaßt wird über Amokläufer bis hin zum islamistischen Terroreinfluß, weil auch bekennende Muslime zum Täterkreis gehören. Diese kommen zumeist nicht aus der privilegierten Gesellschaftsschicht der o.g. Länder; vielmehr aus dem Milieu der neuzeitlichen Vorstädte, wo die Jugend schon im frühen Alter aus dem Familienverband auf die Straße entlassen wird. Dort wird sie eigentlich nicht nur körperlich, sondern auch psychisch in den alltäglichen "Territorial"-Vormachtkämpfen "abgehärtet". Häufig sogar bis zur Verrohung.
Insofern klären die beiden namhaften Psychiater Prof. U. Hegerl/ Leipzig und M. Wolfersdorf/ Bayreuth darüber auf, dass es sich bei den jungen Erwachsenen nicht um Depressive handeln kann, wie einige Psychologen und Psychotherapeuten aus der "Flüchtlings-Szene" den neuen Migranten aus dem kriegerischen Orient -vor allem auch als "posttraumatische Belastungsstörungen"- zusprechen. Die Psycho-Diagnose PTBS dürfte besonders bei jungen Arabern schwer zu stellen sein, da die von Natur her verbal und mimisch zu starkem Ausdruck fähig sind. Flüchtlingshelfer haben denen ja auch schon geraten, möglichst dramatische Leidensgeschichten vor den Entscheidern zu erzählen, um so die Chance auf Bleiberecht zu verbessern...
Vielmehr dürften bei den schon in D aufgewachsenen Migrantenkindern auch unbewältigte "interkulturelle" Konflikte, die in mangelnder Identität der eigenen Person münden, zum fatalistischen Handeln führen.
Und das könnte uns allen aufzeigen, wie schwierig deren beschworene "Integration" in die Mehrheits-Gesellschaft sein kann.
Zumal ja schon von vielen unter uns die tolerante "multi-kulti"-Epoche längst als gescheitert erklärt worden ist.
Dr. Horst Grünwoldt, Rostock

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