Leitartikel zur Ebola-Epidemie
Die Ohnmacht an der Grenze der ärztlichen Kunst
Der Ebola-Ausbruch und die Versorgung der infizierten Patienten stellen Ärzte vor Ort nicht nur vor medizinische Herausforderungen. Auch ethische Probleme müssen gelöst werden - dazu gehört manchmal, dass man sich ein Scheitern eingesteht.
Veröffentlicht:Mehr als 1800 infizierte Patienten, mehr als 1000 Menschen sind gestorben. Westafrika wird derzeit von einer furchtbaren Seuche heimgesucht: Ebola.
Die Lage ist streckenweise katastrophal. Aus Monrovia/Liberia berichtet die Organisation "Ärzte ohne Grenzen": "Die meisten Krankenhäuser der Stadt sind geschlossen, und es gibt Berichte, dass auf den Straßen und in Häusern Leichen liegen."
Beim Umgang mit der Seuche, den Erkrankten, der Frage der Evakuierung und unerprobter Behandlungen stehen die Verantwortlichen nun nicht nur vor technischen und medizinischen Herausforderungen, sondern auch vor ethischen Fragen.
So sah sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zunächst überfordert mit der Frage, ob an Ebola erkrankte Patienten Medikamente erhalten dürfen, die noch nicht ausreichen getestet sind.
Die Seuche werfe Fragen auf, ob noch nie am Menschen erprobte Medikamente im Rahmen des Ebola Ausbruchs gegeben werden dürfen, so die WHO in einem Statement vom 6. August.
Und wer unter den Patienten dürfe den raren Stoff überhaupt verabreicht bekommen? Am Dienstag hat die WHO dann mitgeteilt, man habe einen Konsens darüber erzielt, dass es ethisch sei, unter den besonderen Umständen unerprobte Mittel als potenzielle Therapie oder zur Vorbeugung anzuwenden.
Dazu gehörten Transparenz, auf Informationen beruhendes Einverständnis des Patienten, die ärztliche Schweigepflicht und der Respekt vor der Würde der Patienten, so die WHO.
Allerdings: Der Grundsatz, nicht zu schaden, kann hier nicht garantiert werden. Wer die Mittel einsetzt, begibt sich in unüberschaubares Gelände und muss damit rechnen, als Arzt zu scheitern. Akzeptiert er das?
Unterscheidung zwischen Arm und Reich
Es gibt noch andere gravierende ethische Probleme: So wurden einige europäische Patienten ausgeflogen - Einheimische müssen bleiben. Am Dienstag wurde klar, dass der deutsche Student mit Verdacht auf Ebola nicht infiziert worden ist. Wäre er ebenso ausgeflogen worden wie schon andere Patienten aus Spanien oder den USA?
Mancher kämpft mit Gewissensbissen, weil der reiche Westen seine Staatsangehörigen retten kann, während die heimische Bevölkerung unter schlechten Bedingungen leiden muss. Die Krankheit macht keinen Unterschied zwischen Arm und Reich - aber die Retter müssen es tun. Dürfen sie das?
"Man kann von Menschen nicht erwarten zu bleiben, wenn sie sich retten könnten", sagt der Medizinethiker Professor Giovanni Maio zur "Ärzte Zeitung". "Man kann nur fordern, was zumutbar ist. Es sei denn, jemand erkrankt, weil ein anderer geht. Aber so ist die Situation in Westafrika nicht." Dem ärztlichen Gewissen dürfte das nicht immer helfen.
Auch der Umstand, dass die Ärzte vor allem dafür sorgen müssen, die Krankheit einzudämmen, verändert die ärztliche Aufgabe. Der Schwerpunkt verschiebt sich von der Behandlung des Kranken zum Schutz der Gesunden.
Dass die Krankenversorgung nicht vernachlässigt wird, zeigt zum Beispiel der Umstand, dass "Ärzte ohne Grenzen" aus ihrem Behandlungszentrum in Guinea 46 Ebola-Patienten als geheilt entlassen konnten.
Dessen ungeachtet müssen die Ärzte täglich auf dem schmalen Grat zwischen der Angst, sich zu infizieren und dem Mut, weiterzumachen, balancieren. Denn auch die Helfer sind gefährdet.
"Es gibt Berichte, dass sich (in Monrovia/Liberia) in den vergangenen Wochen mindestens 40 Mitarbeiter von Gesundheitseinrichtungen mit Ebola angesteckt haben", so "Ärzte ohne Grenzen".
Ohnmacht als schwere Lektion
Unter den manchmal schweren Entscheidungen, die die Ärzte vor Ort zu treffen haben, dreht sich ein verborgener Kreislauf: der der Grenze ärztlicher Arbeit. Für diese Einsicht muss man nicht Richtung Westafrika blicken. Es genügt ein Tag auf einer Klinikstation oder ein Blick ins Wartezimmer: Die Kunst der Medizin ist begrenzt und manchmal liegt die Grenze ganz nah.
Für Ärzte dürfte die Erfahrung der Ohnmacht an dieser Grenze eine schwere, aber wichtige Lektion sein. Mit Routine und Know-how, mit Koordination, Entschlossenheit und einer Portion Glück wird die Seuche wohl eingedämmt werden können. Aber an sehr vielen Stellen werden die Mühen der mutigen Mediziner vor Ort vergeblich bleiben.
Mancher Arzt vor Ort mag sich fühlen wie Dr. Bernard Rieux in Albert Camus´ Roman "Die Pest". Der Arzt harrt in der algerischen Stadt Oran aus, als die Pest ausbricht und Tausende dahinrafft.
Er arbeitet weiter und überlebt. Und doch spricht er am Schluss des Romans von der "endgültigen Niederlage" und zieht daraus seine Kraft.
Anders gesagt: Er hat als Arzt seine Grenzen erkannt, und ist dabei nicht nur nicht zynisch geworden. Er hat nicht kapituliert, sondern etwas in sein Arzt-Sein und Mensch-Sein integriert, wovor andere fliehen: die Ohnmacht an der Grenze der Medizin.
Nun ist Liberia oder Guinea nicht mit Oran zu vergleichen, der Roman nicht mit der realen Situation eines Ebola-Ausbruches. Aber die Mühen der Ärzte in Westafrika um Humanität angesichts einer oft stärkeren Krankheit sind vielleicht vergleichbar mit der Arbeit der Romanfigur Rieux.
Camus hat sie erfunden, um einer tieferen Wahrheit Ausdruck zu verleihen, die auch und besonders für Ärzte gilt: Ohnmacht ist menschlich.