Leitartikel

Ebola ist kein Grund für planlose Therapie-Versuche

Noch mehr ungeprüfte Wirkstoffe im Kampf gegen das tödliche Ebola-Virus - das fordern immer mehr Menschen. Doch dieser Schritt könnte fatale Folgen haben.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Medizinisches Personal misst die Temperatur eines Reisenden, um eine Ebola-Infektion aufzuspüren.

Medizinisches Personal misst die Temperatur eines Reisenden, um eine Ebola-Infektion aufzuspüren.

© Daniel Irungu / epa / dpa

Mit dem Antikörper-Cocktail ZMapp? wurden drei Ebola-Patienten behandelt. Zwei haben überlebt, einer ist gestorben.

Hat ZMapp? nun zwei Infizierten das Leben gerettet oder hat es einen umgebracht? Das können wir nach diesem Therapieversuch dummerweise nicht sagen. Die einzige sichere Erkenntnis lautet: Der Antikörpermix bringt nicht jeden um, zumindest nicht sofort.

Mehr Evidenz werden wir auch nicht bekommen, wenn wir solche Mittel ohne Kontrollgruppe verabreichen. Aus diesem Grund versucht der oberste Seuchenwächter der USA, Dr. Anthony Fauci vom National Institute of Allergy and Infectious Diseases, den US-Medien unermüdlich einzutrichtern, dass die Genesung der beiden Landsleute unter ZMapp? reiner Zufall gewesen sein kann.

"Ohne eine sorgfältig konzipierte Studie mit einer Vergleichsgruppe, die das Medikament nicht bekommt, kann kein Arzt sagen, ob es wirkt", stellt Fauci unmissverständlich fest.

Dennoch wächst der Druck, weitere ungeprüfte Medikamente gegen eine Krankheit einzusetzen, die es in Westafrika längst nicht mehr gäbe, hätte man rechtzeitig die älteste Seuchenbekämpfungsmaßnahme, die Quarantäne, konsequent umgesetzt.

Doch auch die WHO plädiert inzwischen für einen Einsatz ungeprüfter Mittel, und spätestens da fragt man sich, welcher Teufel wohl deren Ethikexperten geritten hat, mal eben die in Jahrzehnten mühsam erarbeiteten Standards der evidenzbasierten Medizin über Bord zu werfen. Selbst gegen HIV hat das niemand ernsthaft gefordert, und daran sind 10.000-mal mehr Menschen gestorben als in den vergangenen 40 Jahren an Ebola.

Man kann nun einwenden, dass die Situation eine besondere ist: Für groß angelegte Forschungsprogramme und Studien bleibt keine Zeit, wir müssen den aktuellen Ebola-Ausbruch mit denjenigen Mitteln bekämpfen, die uns jetzt zur Verfügung stehen.

Doch im Forschungsstadium befindliche Therapeutika können schon rein mengenmäßig keinen Beitrag dazu leisten, umso mehr sollten Ärzte die Gunst der Stunde nutzen und solche Mittel während des aktuellen Ausbruchs unter kontrollierten Bedingungen prüfen - damit wir wenigstens beim nächsten Mal wissen, was tatsächlich gegen das Virus hilft.

Vertrauen wird aufs Spiel gesetzt

Wer jedoch planlos ungeprüfte Therapien verabreicht, riskiert nicht nur, damit mehr Menschen zu töten als zu retten, er untergräbt auch das ohnehin kaum vorhandene Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen und ausländischen Helfer.

Schnell könnte sich das Gerücht herumsprechen, die Kranken würden als Versuchskaninchen missbraucht und nicht an Ebola sterben, sondern an den neuen Therapien. Die Angehörigen würden die Infizierten dann wohl wieder verstecken und jegliche Bemühungen zunichtemachen, den Ausbruch einzudämmen.

Was ist also zu tun? Das Mindeste wäre, die neuen Therapien zunächst bei gesunden Probanden in klinischen Phase-I-Studien auf ihre Sicherheit zu prüfen: Zeigen sich bei langsam steigenden Dosierungen keine schweren Nebenwirkungen, lässt sich annehmen, dass die Therapien auch den Infizierten nicht groß schaden.

Doch auch Phase-I-Studien mit wenigen Probanden müssen sorgfältig geplant werden, die Durchführung und Auswertung kann Monate dauern. Um vielversprechende Therapien dennoch schnell einzusetzen, schlägt der Infektiologe Dr. Jesse Goodman von der Universität in Washington eine Kompromisslösung vor: Therapien, die in präklinischen Versuchen eine gute Wirksamkeit bei geringen Nebenwirkungen zeigten, könnten bei einer kleinen Zahl von Ebola-Patienten eingesetzt werden - am besten in Form einer randomisiert-kontrollierten Studie.

Zeitgleich sollten auch gesunde Probanden die Behandlung erhalten - nur so lassen sich schwere Nebenwirkungen klar erfassen und von Ebola-Schäden unterscheiden (NEJM 2014. online 20. August).

WHO erkennt moralischen Pflicht zu Studien

Bei solchen Studien müssten in kurzen Abständen Zwischenanalysen erfolgen, fordert Goodman: Überleben nach kurzer Zeit signifikant mehr Patienten als in der Kontrollgruppe, könnten die Forscher die Studie sofort abbrechen und die neue Therapie möglichst vielen Infizierten verabreichen. Steigt jedoch die Komplikations- oder Sterberate, wäre der Einsatz der neuen Therapie sofort zu stoppen.

Immerhin ist auch die WHO solchen Ansätzen nicht abgeneigt und erkennt eine "moralische Pflicht, diese Interventionen in den bestmöglichen klinischen Studien unter den gegebenen Umständen zu prüfen".

Angesichts der Probleme, die sich bei einer planlosen Nutzung ungeprüfter Therapien ergeben, hätte die Organisation aber besser darauf gedrängt, neue Verfahren ausschließlich in klinischen Studien zu testen - wie auch immer diese während einer Epidemie aussehen mögen.

Schließlich führt auch in Zeiten von Ebola kein Weg daran vorbei, Medikamente nach den Standards der evidenzbasierten Medizin zu prüfen. Die Frage sollte sein, wie wir solche Standards während einer tödliche Epidemien unter schwierigsten Bedingungen anwenden, und nicht, ob wir darauf komplett verzichten.

Kommentare
Dr. Horst Grünwoldt 25.08.201413:55 Uhr

Seuchenhygiene

In subsaharischen E- Ländern kommen neben den klassischen Umwelt- Tropenkrankheiten (Protozoen- und Wurm-Infestationen), tagtäglich auch tausendfach bakterielle Verletzungs-Infektionen vor. Diese können sich mangels Wundhygiene und sanitärer Einrichtungen immer wieder auch als Blutvergiftung (Septikämie) klinisch unter dem Bild einer hämorrhagischen Krankheit äußern.
Da bleibt zu hoffen, daß die WHO-Experten und die Doktors-ohne-Grenzen in solchen Fällen nicht gleich das Schreckgespenst "Ebola" über den geschundenen Kontinent ausrufen, sondern kühlen Verstandes differenzial-diagnostizieren. Notfalls auch mittels schlichter bakteriologischer Blutkultur, wenn die virologischen oder PCR-Verfahren nicht flächendeckend zur Verfügung stehen.
Im übrigen sind die Abwehr- und Flucht-Reaktionen der schwarzafrikanischen Bevölkerung ganz und gar verständlich, wenn die "Seuchen"-Bekämpfer derart gespenstisch vermummt auftreten.
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt, Rostock

Christoph Hartmann 25.08.201412:16 Uhr

Zu einfach gemacht

Der Artikel wirkt destruktiv und berücksichtigt die schwierige Lage nicht. Die Ebola-Epidemie betrifft Länder ohne in der Bevölkerung akzeptierte und mit inhaltlicher Autorität ausgestattete Staatsorgane. Die Menschen leben an vielen Stellen in Gemeinschaften ohne Bezug zum Staat. Staatliche Maßnahmen haben sie oft als nicht in ihrem Interesse stehend erlebt. Dies drückt sich aus in großem Misstrauen und auch in der Meinung, dass es Ebola vielleicht gar nicht geben könnte. Mit verantwortlich sein könnte dafür die zum Teil lange Inkubationszeit der Seuche. Die Beziehung zwischen Ursache (Kontakt zu einem Erkrankten) und Wirkung (eigene Erkrankung) ist dadurch nicht ganz einfach (Inkubationszeit zwischen 2 und 21 Tagen).
Mit dieser Gemengelage muss die WHO umgehen. Durch schwache Regierungen kann die Quarantäne zum Teil nicht ausreichend umgesetzt werden. Menschen in betroffenen Bezirken fühlen sich zum Teil zu Recht aufgegeben und allein gelassen. Panik breitet sich aus und große Hilflosigkeit. Die WHO wird von Menschen geführt, die die Errungenschaften der westlichen Medizin verinnerlicht haben. Diese besagen, dass man Menschen Hoffnung machen muss, dass der Anschein der Beherrschbarkeit erhalten werden muss.
Die Medizin entwickelt nur für solche Erkrankungen Mittel, für die diese gebraucht werden. Nur Basisgrundlagenforschung befasst sich mit seltenen Erkrankungen, die bisher kein größeres Problem dargestellt haben. So gibt es bisher nichts gutes bezüglich Ebola.
Weil unsere Medizin Hoffnung machen will und nicht zugeben will, dass sie machtlos ist, bietet sie ungeprüfte Medikamente an. Das scheint verantwortungslos, ist aber bei einer Sterblichkeit von 70-80% ohne Therapie verständlich. Wie würde Herr Müller reagieren, wenn er erkrankt wäre und man würde ihm sagen, dass er an einem Heilversuch mit einer ungeprüften Medikation teilnehmen oder dass er den normalen Verlauf der Krankheit abwarten könnte? Aus der Krebstherapie weiß ich, dass viele Menschen bereit sind, ungeprüfte Medikamente einzunehmen, die nach wenigen Jahren als unwirksam oder schädlich erkannt werden.
Die Ebolaseuche sollte in der WHO genutzt werden, um prinzipielle Strategien zu entwickeln, wie man mit bisher nicht behandelbaren Seuchen umgehen kann. Gleichzeitig muss versucht werden, kurzfristig in geplanten und überwachten Therapieversuchen mit gut durchdachten wissenschaftlichen Mindest-Standarts eine oder mehrere wirksame Behandlungen für Ebola zu entwickeln. Das ist in Ländern mit kaum vorhandenen staatlichen Strukturen sicher nicht einfach.
Christoph Hartmann

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