GASTKOMMENTAR ZUM STAMMZELLGESETZ
"Eine weit reichende Signalwirkung für die Wissenschaft"
Mit deutlicher Mehrheit - nämlich mit 346 gegen 228 - stimmten Abgeordnete des Bundestages für eine Verschiebung des Stichtages für den Import humaner embryonaler Stammzellen aus dem Ausland auf den 1. Mai 2007. Diese Nachricht nehmen viele Wissenschaftler und Ärzte mit Erleichterung auf.
Das Stammzellgesetz vom Juni 2002 hat deutschen Wissenschaftlern ermöglicht, humane embryonale Stammzellen für hochrangige Forschungsarbeit aus dem Ausland zu importieren, wenn die Zelllinien vor dem 1. Januar 2002 etabliert worden sind. Dieses Gesetz zeichnet sich außerdem durch ein Verfallsdatum aus. Nach fünf Jahren sollte die Auswirkung dieses Gesetzes evaluiert werden, und es sollte schon im Juni 2007 abgestimmt werden.
Technik der Gewinnung von Stammzellen wurde verbessert
Inzwischen wurde die Technik der Stammzellgewinnung so erheblich verbessert, dass die vor dem 1. Januar 2002 etablierten Zelllinien für die Spitzenforschung inzwischen nicht mehr ausreichen.
Die Debatte um die Novellierung des Gesetzes hat seit Januar 2007 die Gesellschaft polarisiert. Man hat den Eindruck gewonnen, dass es gar nicht mehr um die Stammzellforschung geht.
"Für die Forschung an embryonalen Stammzellen muss ungeborenes, menschliches Leben getötet werden!", behaupteten die Gegner der Erforschung humaner embryonaler Stammzellen. Nichts ist weiter entfernt von der Wahrheit.
Denn bei der künstlichen Befruchtung müssen mehrere Eizellen befruchtet werden, da die Erfolgschancen dabei nur etwa 25 bis 30 Prozent betragen.
Im Ausland und auch in der Bundesrepublik sind in großer Zahl überzählige Embryonen entstanden (in den Vereinigten Staaten von Amerika zum Beispiel gibt es über 400 000 tief gefrorene Embryonen), die nach einer gewissen Zeit entsorgt werden. Fast alle gebräuchlichen humanen embryonalen Stammzelllinien stammen eben aus solchen überzähligen Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung erzeugt wurden und die - statt sie zu "entsorgen" - von den Eltern für die Forschung gespendet worden sind, nachdem die künstliche Befruchtung abgeschlossen war.
Stammzellen aus fünf Tage alten Blastozysten gewonnen
Es muss betont werden, dass embryonale Stammzellen aus frühen Embryonal-Stadien (Blastozysten, 5 bis 7 Tage nach der Befruchtung der Eizellen) gewonnen werden. Zu diesem Zeitpunkt besteht der Embryo aus einigen Dutzend Zellen. Dies entspricht einem Entwicklungsstadium nach der natürlichen Befruchtung noch vor Einnistung in die Gebärmutter - ein Stadium, in dem zum Beispiel bei Verwendung der Spirale oder anderer Kontrazeptiva der Embryo noch an der Einnistung in die Gebärmutter gehindert und abgestoßen wird.
Auch führt nur ein Bruchteil aller befruchteten Eizellen zu einer Schwangerschaft. Ungefähr 80 Prozent der natürlich befruchteten Eizellen nisten sich nicht in der Gebärmutter ein, ohne dass dies die Frauen jemals merken.
Das Ergebnis der Abstimmung im Bundestag am vergangenen Freitag hat eine weitreichende Signalwirkung für die deutsche Wissenschaft: Dass Spitzenforschung in Deutschland wieder möglich ist und an Stellenwert gewonnen hat, dass die Wissenschaft das Vertrauen der Politik und der Gesellschaft genießt, und dass die Wissenschaftler dazu fähig sind, gute Forschung verständlich an die Öffentlichkeit so zu transportieren, dass Vernunft am Ende herrscht.
Auch das Ausland verfolgt die Abstimmung im Deutschen Bundestag mit enormer Erwartung, ob wir als "Land der Ideen und Innovationen" ernst genommen werden können oder wollen.
Wir sollten uns jedoch davor hüten verfrühte Hoffnungen auf Therapien mit embryonalen Stammzellen zu wecken - wie vor einigen Jahren geschehen.
In den vergangenen Jahren haben wir viele grundlegende Steuerungsmechanismen des "Jungbleibens" von Stammzellen von der Erforschung humaner embryonaler Stammzellen gelernt, was wir auf die Erforschung adulter humaner Stammzellen übertragen können. Der Fokus der embryonalen Stammzellforschung wird vorerst auf Mechanismenforschung bleiben.
ZUR PERSON
Professor Anthony D. Ho ist Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik V der Uni Heidelberg. Seine Forschungsgebiete sind die Stammzelltransplantation und die Therapie bei Leukämien oder Lymphomen. In seiner Forschung geht es besonders um die Grundlagen der Steuerung von Stammzelleigenschaften, Selbsterneuerung und Zelltypumwandlung. Ho ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Gesellschaft für Regenerative Medizin.
(Foto:Uni Heidelberg)
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