Influenza
Europäisches Tohuwabohu um Pandemiepläne
Europäische Länder stimmen ihre nationalen Influenza-Pandemiepläne nicht miteinander ab, kritisieren Infektiologen. Sie fordern auch, dass die Forschungen besser koordiniert werden. Nur so könne man sich für die nächste Influenza-Pandemie wappnen.
Veröffentlicht:ERFURT. Auch im Jahr drei nach der vergleichsweise mild abgelaufenen Influenza-Pandemie 2009/2010 ist man auf europäischer Ebene mit den Vorbereitungen auf eine nächste Pandemie nicht dort, wo man gerne sein würde.
In einem tatsächlich katastrophalen Ernstfall gebe es die Gefahr für "Konfusionen und Divergenzen" in den nationalen Pandemieplänen, so Professor Angus Nicoll, Leiter des Influenza-Programms beim European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC).
Er kritisierte beim 4. Deutschen Influenza-Kongress in Erfurt, dass etwa 30 Länder ihre Pandemie-Pläne unabhängig voneinander überarbeiteten.
In vielen Ländern keine eindeutigen Vorgaben
Dr. Caroline Brown, die das zuständige Europa-Büro der WHO für Influenza in Kopenhagen leitet, berichtete dagegen bei dem Kongress in erster Linie über Erfolge der Pandemieplan-Revisionen seit 2009.
Damals verfügten von den 53 WHO-Mitgliedsstaaten in Europa zwar alle über nationale Pandemiepläne, diese seien jedoch sehr oft nicht operationalisiert gewesen.
Soll heißen, man wusste theoretisch, was zu tun wäre, hatte aber keine klaren Regelungen dafür, wie dies umzusetzen sei.
So gab es in vielen Ländern keine eindeutigen Vorgaben über die Verteilung des Pandemie-Impfstoffs und antiviraler Medikamente. Die Kapazitäten für die klinische und intensivmedizinische Versorgung waren unzureichend.
Und viele Länder hatten keine routinemäßigen Surveillance-Systeme, auf deren Grundlage man überhaupt effektive nationale Maßnahmen ergreifen konnte.
Vier Staaten haben Influenza-Pandemiepläne überarbeitet
Inzwischen, so Brown, sei man bei der Fehleranalyse und den vorbereitenden Maßnahmen für eine nächste Influenza-Pandemie ein ganzes Stück vorangekommen.
So habe sich die Zahl der europäischen Staaten, die ein ambulantes Sentinel-Surveillancesystem betreiben, von 36 im Jahr 2008 auf derzeit 45 erhöht.
Ebenso viele europäische Länder senden inzwischen epidemiologische und virologische Daten an die WHO, vor 2009 waren es 29 gewesen.
Routine-Surveillancedaten erheben nach Browns Angaben jedoch nur 15 der 53 WHO-Mitgliedsländer in Europa.
Und nur vier Staaten haben bisher ihre Influenza-Pandemiepläne komplett überarbeitet: Tschechien, Frankreich, Finnland und Großbritannien. Deutschland soll bald folgen.
In zehn Staaten gibt es nach wie vor keine nationalen Influenza-Zentren. Und mangelhaft sind die Durchimpfungsraten in Risikogruppen, wenn diese überhaupt suffizient ermittelt werden können.
Stärkere Vernetzung geplant
Nicoll vom ECDC unterstrich die Bedeutung der Surveillance-Systeme, um rechtzeitig einen passenden Impfstoff zur Verfügung stellen zu können, wenn sich ein neues Influenza-Virus verbreiten sollte.
Die derzeit nötigen fünf bis sechs Monate seien viel zu lang. Um die Entwicklungs- und Herstellungszeit zu verkürzen, ist ein effektives, möglichst globales Surveillance-System mit virologischer Risikoabschätzung nötig.
In Zukunft möchte man möglichst flexibel und auf internationaler Ebene koordiniert auf mögliche pandemische Gefahren regieren können.
Die globalen WHO-Pandemiephasen hatten sich für nationale Entscheidungen als nur bedingt tauglich erwiesen - hier soll es Veränderungen geben.
Es werden eine stärkere Vernetzung und ein internationaler Daten- und Wissensaustausch zwischen Staaten, Industrie und den weiteren Akteuren für zeitnahe Entscheidungen angestrebt, etwa mit dem PIP Framework (Pandemic Influenza Preparedness Framework).
Südosteuropäische Länder im Fokus
Im Projekt EuroMoMo (European Mortality Monitoring Project) werden Mortalitätsschätzungen auf breiterer Datenbasis als früher erarbeitet. Und in internationalen Workshops versucht man, möglichst alle Länder auf diesem Weg mitzunehmen.
Dass die Voraussetzungen für ein effektives Pandemie-Management in Westeuropa besser sind als anderswo, überrascht nicht.
WHO und ECDC fokussieren daher ihre Beratung, etwa zu Kommunikationswerkzeugen für Impfkampagnen, auf südosteuropäische Länder.