Siamesische Zwillinge
Forscher entdecken Protein für Organverteilung
Warum das Herz bei manchen Siamesischen Zwillingen auf der rechten Seite sitzt, haben Biologen jetzt entschlüsselt.
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Bei jedem zweiten rechtsseitigen Zwilling sind die inneren Organe spiegelverkehrt.
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HOHENHEIM. Bei jedem zweiten siamesischen Zwillingspaar liegt das Herz spiegelverkehrt und somit auf der rechten Seite. Forscher der Universität Hohenheim haben nun ein Protein identifiziert, das die außergewöhnliche Organverteilung auslöst. Das berichtet die Fachzeitschrift "Current Biology" diese Woche in ihrer Titelstory (2017, online 22. Dezember).
Drei Asymmetrie-Gene sorgen den Forschern zufolge bereits im Embryoalter von wenigen Tagen bis Wochen dafür, dass sich das Herz mit der Spitze nach links ausrichtet und auch die inneren Organe asymmetrisch ausbilden. In den ersten Tagen nach der Befruchtung werden diese Gene noch von einem bestimmten Protein blockiert. Der Embryo entwickelt sich komplett symmetrisch. Doch bereits nach wenigen Tagen vollzieht sich im Embryo eine Kette von Ereignissen, die diese Gen-Bremse in den Zellen der linken Körperhälfte lösen.
Studienautor Professor Martin Blum erklärt: "In der Folge wandert das Herz nach links, die Leber nach rechts, die Herzkammern werden unterschiedlich ausgebildet. Wird die Protein-Bremse jedoch nicht gelöst, dann bleiben die Asymmetrie-Gene unterdrückt. Als Ergebnis müssen sich die Organe dann zufällig anordnen. Bei 50 Prozent der betroffenen Lebewesen sitzen sie am gewohnten Platz. Bei den anderen 50 Prozent auf der entgegengesetzten Körperseite."
Cilien geben den Anstoß zur Asymmetrie
An wenige Tage alten Froschembryonen konnte Blum in vorangegangenen Forschungsprojekten nachvollziehen, wie eine vier- bis sechsstündige Ereigniskaskade die Protein-Bremse löst. Ursächlich dafür sind Cilien: winzige Härchen auf der Oberfläche bestimmter Zellen in dem Bereich des Embryos, aus dem sich später der Darm entwickelt.
Die Cilien sind so angeordnet, dass sie sich wie Propeller im Kreis bewegen. Dabei verursachen sie einen Flüssigkeitsstrom, der sich außerhalb dieser Darmzellen von rechts nach links bewegt. Links des Cilienfeldes gibt der anbrandende Flüssigkeitsstrom den Zellen das Signal, die Protein-Bremse zu lösen. Rechts des Cilienfeldes fehlt das Signal: Die Protein-Bremse bleibt intakt.
Auf diese Weise gibt dieser Flüssigkeitsstrom den Startschuss für die asymmetrische Ausprägung der Organe. "Das ist wie ein Domino-Effekt: von da an nicht mehr zu bremsen", verdeutlicht Blum.
Linker Zwilling blockiert die Entwicklung des rechten Zwillings
Die gleiche Ereigniskaskade findet auch bei siamesischen Zwillingen statt. Beim rechten und linken Zwilling geben die Cilien gleichermaßen das Signal zum Aussetzen dieses Inhibitor-Proteins. Während beim linken Zwilling das Inihibitor-Protein tatsächlich unterdrückt wird, hat der rechte damit jedoch ein Problem: Seine linke Körperhälfte überlappt sich mit dem rechten Bereich des linken Zwillings.
Hier wird das Brems-Protein nicht gelöst, sondern strahlt sogar auf den rechten Zwilling aus. Die Folge: Beim rechten Zwilling werden die Asymmetrie-Gene nicht aktiviert, die Organe entwickeln sich zufällig – und dadurch bei jedem zweiten rechtsseitigen Zwilling eben spiegelverkehrt. (eb/mmr)