HIV-Infizierte leben länger - und kränker
HIV-Infizierte leben heute dank Therapie länger als Infizierte zu Pandemie-Beginn. Die Schattenseite: Dadurch gibt es auch mehr HIV-Patienten mit Komorbiditäten wie KHK und Diabetes.
Veröffentlicht:ZÜRICH. Die Schweizer HIV-Kohorten-Studie ist ein wichtiges Instrument, wenn es darum geht, die Entwicklung von Morbidität und Altern bei HIV-Infizierten zu beurteilen.
Diese prospektive Beobachtungsstudie wurde bereits 1988 begonnen und erhebt epidemiologische, klinische und labormedizinische Daten von HIV-infizierten Teilnehmern.
Mehr als 16.000 HIV-Infizierte, die mindestens 16 Jahre alt sind, nehmen bereits teil. Jedes Jahr kommen etwa 600 HIV-Infizierte dazu. Größtes Zentrum mit einem Anteil von 38 Prozent aller Studienteilnehmer ist das Universitätsspital Zürich.
Einer aktuellen Auswertung der Schweizer Studiendaten zufolge, der die Informationen von fast 9000 Teilnehmern zugrunde liegt, waren 26,4 Prozent davon zum Zeitpunkt der Datenerhebung zwischen 50 und 64 Jahre alt, 5,3 Prozent waren sogar mindestens 65 Jahre alt (Clin Infect Dis 2011; 33: 1130-1139).
Der Anteil der HIV-Infizierten zwischen 50 und 64 lag 1990 noch unter drei Prozent.
Die Hälfte könnte über 50 Jahre alt werden
In einem Kommentar zur Studie wagt Dr. Michael S. Saag vom US-Zentrum für Aids-Forschung der Universität von Alabama in Birmingham sogar eine Prognose: Sollte sich dieser Trend innerhalb der kommenden Dekade fortsetzen, würden bis zu 50 Prozent der Patienten in ihrer Kohorte älter als 50 Jahre sein (Clin Infect Dis 2011; 33: 1140-1142).
Kein Vergleich zum Beginn der Pandemie vor 30 Jahren, als es mit AZT nur ein Medikament gab und die HIV-Infizierten rasch an Aids erkrankten und nur noch wenige Monate lebten.
Im Median sind die Patienten der Schweizer Kohortenstudie nun schon seit 15,4 Jahren mit dem Aids-Erreger infiziert. Die längste Infektionsdauer liegt bei 22 Jahren.
Komorbiditäten bei jedem Neunten
Fast 1000 Studienteilnehmer hatten Krankheitsereignisse, die nicht-Aids-definierend sind. Zu Aids-definierenden Erkrankungen zählen etwa das Kaposi-Sarkom oder die Pneumocystis-carinii-Pneumonie (seit 2002 als Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie bezeichnet).
Mehr als 200 Teilnehmer hatten zum Beispiel zwischen 2008 und 2010 eine bakterielle Pneumonie, 70 Teilnehmer wurden Diabetiker, 115 hatten nicht-Aids-definierende Malignome und 55 einen Herzinfarkt.
Nur knapp 200 Patienten hatten Erkrankungen, die direkt im Zusammenhang mit der HIV-Infektion stehen, und zwar Symptome der Kategorie B in der CDC-Klassifikation, also etwa eine oropharyngeale Kandidose, eine orale Haarzellleukoplakie oder eine periphere Neuropathie.
Diesen geringeren Anteil an HIV-assoziierten Erkrankungen schreibt Saag der erfolgreichen antiretroviralen Therapie zu, die inzwischen nur noch aus meist drei Präparaten unterschiedlicher Substanzklassen wie Protease-Hemmer und Nukleosid-Analoga besteht.
Diese Entwicklung sei Anlass, die HIV-Infizierten verstärkt von Allgemeinmedizinern betreuen zu lassen, so Saag.