Wegen Corona
Intensivmediziner rechnen mit mehr Absagen von elektiven Operationen
Hohe Corona-Fallzahlen versetzen die DIVI in Alarmstimmung: Schon bald drohe wegen Kapazitätsengpässen die bundesweite Priorisierung von Operationen. Von Triage mag die Fachgesellschaft aber nicht sprechen.
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Die Lage ist momentan nicht unter Kontrolle: DIVI-Präsident Professor Gernot Marx.
© Jürgen Heinrich / SZ Photo / picture alliance
Berlin. Intensivärzte haben die Corona-Situation in Deutschland als „besorgniserregend“ eingestuft. Die Lage sei „momentan nicht unter Kontrolle“, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Professor Gernot Marx, bei einem virtuellen Presse-Briefing am Montag.
Allein vergangene Woche seien knapp 1900 COVID-19-Patienten neu auf den Intensivstationen aufgenommen worden – fast 700 von ihnen seien verstorben, rechnete Marx vor. Insgesamt lägen derzeit rund 3670 COVID-19 erkrankte Menschen auf Intensivstationen – davon müsse etwa die Hälfte invasiv beatmet werden.
Ähnliche Lage wie Ende 2020
Die aktuelle Entwicklung sei „quasi identisch“ mit der im Herbst des vergangenen Jahres, sagte der Leiter der Klinik für Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum RWTH Aachen. Die Situation treffe Ärzte und Pflegekräfte in einer Situation, in der die Intensivstationen „ohnehin gut gefüllt sind mit anderen schwerkranken Patienten“.
Viele Pflegekräfte hätten wegen Erschöpfung ihre Arbeitszeiten gesenkt oder dem Beruf den Rücken gekehrt, so Marx. Die Folge sei, dass heute 4000 Intensivbetten weniger betrieben würden als vor einem Jahr. Regional – etwa in Bayern, Sachsen oder Thüringen – führe der Rückgang an betreibbaren Intensivbetten bereits zu einer „akuten Überlastungssituation“ in den Krankenhäusern. Patienten müssten verlegt und planbare Eingriffe verschoben werden.
Halte die Infektionsdynamik an und komme es infolgedessen weiter zu einem ungebremsten Anstieg an schwerkranken COVID-19-Fällen, werde eine „Priorisierung“ und Umorganisation von Operationen in weiten Teilen Deutschlands notwendig. Das bedeute auch, dass die allgemeine Gesundheitsversorgung dann nicht mehr auf dem gewohnten Niveau zur Verfügung stehe, so Marx.
„Jeder Notfall wird versorgt“
Von einer Triage wollte der DIVI-Chef aber nicht sprechen. „Jeder Notfall und damit jeder COVID-19-Patient wird in Deutschland auch in den nächsten Tagen und Wochen versorgt“, betonte Marx.
Der Präsident der Landesärztekammer, Dr. Erik Bodendieck, hatte am Montag im „Deutschlandfunk“ erklärt, er rechne schon in den nächsten Tagen mit einer Überlastung der Intensivstationen und auch damit, dass in bestimmten Regionen im Freistaat zwei Patienten um ein Bett konkurrieren müssten. Dann drohe eine Triage-Situation: Wer eine bessere Aussicht auf erfolgreiche Behandlung habe, werde bevorzugt.
DIVI-Chef Marx rief die Bundesbürger auf, die Intensivmediziner zu unterstützen. Die Impfung sei nach wie vor der Schlüssel, um die Pandemie zu bewältigen. Vor allem ungeimpften Personen drohe nach einer Infektion ein schwerer Krankheitsverlauf.
Geringere Impfquote gleich höhere Inzidenz
Der Mathematiker und Physiker Professor Andreas Schuppert aus Aachen, der auf Grundlage zahlreicher Daten Pandemie-Szenarien für die DIVI modelliert, wies daraufhin, dass „die Impfquote entweder ein dominanter oder aber ein sehr, sehr wichtiger Faktor“ für die Infektionsdynamik sei. „Je weniger Impfquote, umso schneller breitet sich die Infektion aus.“
Der medizinische-wissenschaftliche Leiter des DIVI-Intensivregisters, Professor Christian Karagiannidis, sagte, es gebe einen „deutlichen Unterschied“ zwischen den ersten drei Wellen und der jetzigen – und der sei „ganz eng verknüpft mit der Erstimpfquote“. Dort, wo diese hoch ausfalle, seien Inzidenzen und auch Hospitalisierungsraten geringer.
Über das DIVI werde es in Kürze auch genaue Angaben zum Impfstatus der Patienten geben. „Wir werden extrem gute Daten kriegen“, betonte der leitende Oberarzt an der Lungenklinik Köln-Merheim.
DIVI-Chef Marx appellierte an Bund und Länder, bei weiter „ungebremst“ steigenden Inzidenzen und Hospitalisierungsraten die Zügel enger zu ziehen. Die mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung müssten dann gegebenenfalls ausgeweitet werden. Gelegenheit dazu besteht am 9. Dezember. Dann soll die nächste Ministerpräsidentenkonferenz stattfinden.