Leitartikel zum Tag des Cholesterins

Ist die Therapie ohne Zielwert ziel- und wertlos?

Seit 2003 veranstaltet die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen und ihren Folgeerkrankungen jährlich den "Tag des Cholesterins". Heute ist es zum zwölften Mal soweit - aber vor einmalig turbulentem Hintergrund.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Cholesterin-Messung: Ist sie noch nötig, wenn Cholesterin-Zielwerte obsolet sind?

Cholesterin-Messung: Ist sie noch nötig, wenn Cholesterin-Zielwerte obsolet sind?

© Raths / fotolia.com

Zu den vielen Dingen neben dem Atlantik, welche die USA von Europa trennen, gehört neuerdings auch der Umgang mit dem Serumcholesterin.

Seit das American College of Cardiology (ACC) und die American Heart Association (AHA) im November 2013 neue Leitlinien für die Reduktion des atherosklerotisch bedingten kardiovaskulären Risikos publiziert haben (Circulation 2013, online 12. November), hat sich ein munterer Disput zwischen amerikanischen und europäischen Fachgesellschaften entsponnen, wie gefährlichen Blutfetten am besten beizukommen sei. Er ist bis zum "Tag des Cholesterins" am 20. Juni nicht beigelegt.

Im Kern geht es um die Frage, ob die Reduktion der Lipidspiegel mit konkreten Zielwerten verknüpft werden soll. Die Amerikaner verneinen dies und rücken in ihrer neuen Leitlinie Dosierungsvorgaben in den Fokus, die sich am Risikoprofil des jeweiligen Patienten orientieren.

Europäer halten an ihren Zielen fest

Demgegenüber halten die Europäer an ihren Zielen fest, also etwa: LDL unter 100 mg/dl für nichtdiabetische Hochrisikopatienten in der Primärprävention; weniger als 70 mg/dl, mindestens aber eine Reduktion von 50 Prozent für Diabetiker mit Organschäden in der Primär- und für alle Patienten in der Sekundärprävention.

"Eine komplette Abkehr von LDL-Zielwerten erscheint uns nicht immer patientengerecht", betont der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Professor Christian Hamm.

Und die European Atherosclerosis Society, die mit der European Society of Cardiology die europäischen Leitlinien für das Management von Dyslipidämien herausgegeben hat, rät dazu, die Auswirkungen der US-Strategie abzuwägen gegen "die große Zahl von Menschen, die ab einem Alter von 40 Jahren lebenslang Statine nehmen müssten".

Von Statinen profitiert laut den US-Empfehlungen, wer einen LDL-Wert ab 190 mg/dl, eine Atherosklerose oder - im Alter ab 40 - einen Diabetes und ein LDL über 70 mg/dl aufweist.

Zur Entscheidung für eine Statintherapie gehört zudem ein Risikoalgorithmus, in den Geschlecht, Alter, Rasse, Gesamt- und HDL-Cholesterin, systolischer Blutdruck, antihypertensive Medikation, Diabetesdiagnose und Raucherstatus einfließen (2013 ACC/AHA Guideline on the Assessment of Cardiovascular Risk).

Statintherapie je nach Risikowert

Je nach dem Risikowert wird zu mäßiger oder hoch intensiver Statintherapie geraten oder nicht. Die Grenze liegt bei einem Risiko von 7,5 Prozent, während der kommenden zehn Jahre eine atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung zu entwickeln.

Das kann tatsächlich dazu führen, dass Personen ohne klinische Zeichen einer Atherosklerose und ohne Diabetes, die über 40 Jahre alt sind, selbst bei einem LDL-Cholesterin von 70 mg/dl ein Statin verordnet bekommen. Umgekehrt erhielten manche Patienten trotz LDL-Hypercholesterinämie kein Statin, falls ihr sonstiges Risikoprofil günstig ausfiele.

Das will nicht allen Experten einleuchten. Widerspruch kommt auch von amerikanischer Seite, etwa von Paul Ridker.

Der Harvard-Forscher war Erstautor der berühmten JUPITER-Studie, in der ansonsten gesunden Probanden mit erhöhtem C-reaktivem Protein, aber normalen Lipidwerten Rosuvastatin oder Placebo verordnet worden war (N Engl J Med 2008; 359: 2195- 2207).

Obwohl die Studienteilnehmer, die das Statin einnahmen, gar keinen erhöhten Cholesterinspiegel hatten, profitierten sie von dem Medikament: Im Vergleich zur Placebogruppe lag ihr Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse 44 Prozent niedriger.

Übers Ziel hinausgeschossen?

Das scheint in jene Richtung zu deuten, in welche die neuen US-Vorgaben weisen: Der Nutzen von Statinen hängt am Risiko, nicht am Cholesterinwert. Dennoch hat Ridker, bei grundsätzlicher Zustimmung, die Leitlinien kritisiert. Seiner Ansicht nach wird das kardiovaskuläre Risiko bei der Kalkulation mit dem AHA/ACC-Rechner überschätzt.

"Verwendet man diese Algorithmen, hätten praktisch alle Männer über 66 und alle Frauen über 70 ein Zehn-Jahres-Risiko, das mehr als 7,5 Prozent beträgt, selbst wenn das Profil ihrer Risikofaktoren optimal ist", schreibt Ridker (Lancet 2014; 383: 600). Damit schießt die Therapie seiner Meinung nach übers Ziel hinaus.

Entschieden wird die Diskussion um die Lipidleitlinien aber letztlich nicht in akademischen Zirkeln, sondern in der Praxis.

Durchsetzen werden sich diejenigen Vorgaben, mit denen sich die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle am wirksamsten senken lässt. Und transatlantische Differenzen hin oder her - es ist ja nicht ausgeschlossen, dass American Way und europäischer Weg in diesem Sinne zu ganz ähnlichen Ergebnissen führen.

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