Kinderärzte warnen: ADHS-Diagnosen von Eltern behindern Therapie

"Das Kind hat ADHS!" Immer häufiger werden Ärzte mit diesen Vordiagnosen von Eltern konfrontiert - erstellt von Lehrern und Erziehern. Die liefern auch gleich noch den Tipp mit, welche Therapie angesagt ist. Pädiater warnen: den betroffenen Kindern hilft das oft wenig.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Unruhige Kinder bekommen schnell von Erziehern die Diagnose ADHS - und die Medikamentenwünsche gleich mit.

Unruhige Kinder bekommen schnell von Erziehern die Diagnose ADHS - und die Medikamentenwünsche gleich mit.

© Lilly

DÜSSELDORF. Bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Verdacht auf eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) werden Ärzte und Psychotherapeuten immer häufiger von den Eltern mit einer Vordiagnose konfrontiert - erstellt von Lehrern oder Kindergärtnerinnen. Die Pädagogen und Betreuer kennen nicht nur die Diagnose, sie wissen auch, welche Therapie angesagt ist: Die Behandlung der Patienten mit Ritalin oder einem vergleichbaren Arzneimittel.

"Die Schulen üben oft enormen Druck auf die Eltern und auch auf uns aus", berichtet Dr. Thomas Fischbach, Vorsitzender des nordrheinischen Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. Die Lehrer sind zum Teil nicht bereit, etwas Geduld mit den auffälligen Schülern zu haben und drohen damit, sie auf die Sonderschule zu schicken, wenn nicht sofort etwas passiert. "Die Kinder sind häufig schon sehr drangsaliert worden, bevor sie zu uns kommen", sagt Fischbach.

Mehr Koordinierung bei der Behandlung

Auch viele Eltern sind verzweifelt, nicht nur, weil sie sich Sorgen um ihre Kinder machen. "Auf dem Weg durch das Gesundheits- und Pädagogiksystem werden sie von einer Einrichtung zur nächsten geschickt, ohne dass sie Hilfe bekommen", sagt der Pädiater, der einen Schwerpunkt in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit ADHS hat.

"Wir brauchen ein multi-modales, koordiniertes Hilfesystem", fordert er. Fischbach erhofft sich in Nordrhein Fortschritte durch den neuen Vertrag zur ambulanten Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit ADHS, den sein Verband, die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein und die AOK Rheinland/Hamburg unter Einbeziehung der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gerade geschlossen haben.

Der Vertrag sieht eine umfangreiche Diagnostik, Elternschulungen, die Zusammenarbeit von Ärzten und Psychotherapeuten, einen leichteren Zugang der jungen Patienten zur psychotherapeutischen Behandlung und einen streng kontrollierten Arzneimitteleinsatz vor. Die Behandler erhalten für die zusätzlich zur Regelversorgung erbrachten Leistungen und ihren Mehraufwand eine extrabudgetäre Vergütung.

Gerade die differenzierte Diagnostik und die multi-modale Behandlung seien Bestandteil der Leitlinien für ADHS, betont die Präsidentin der nordrhein-westfälischen Psychotherapeutenkammer Monika Konitzer. "Nur ist nicht klar geregelt, wer die einzelnen Teile übernimmt, wie die Behandlung koordiniert wird." Hier kann der Vertrag jetzt Abhilfe schaffen, hofft sie. Konitzer begrüßt den interdisziplinären Ansatz des Versorgungsvertrages. "Es braucht ein dichtes Netz, damit kein Kind verloren geht."

Elternschulungen sind der Schlüssel des Erfolges

In die Versorgung von jungen Patienten mit ADHS müssen viele Gruppen einbezogen werden, bestätigt Engelbert Kölker, niedergelassener Kinder- und Jugendarzt in Essen. Neben den Pädiatern seien das Kinder- und Jugendpsychiater, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, nichtärztliche Therapeuten, Lehrer und Erzieher sowie die Eltern.

"Wir fühlen uns als Pädiater als die Lotsen", sagt Kölker. Die Zusammenarbeit von Pädiatern, Psychiatern und Psychotherapeuten funktioniere vor Ort in der Regel gut. Das reiche aber nicht. "Die Verzahnung mit Lehrern und Erziehern darf nicht dem Zufall überlassen werden, sondern muss ein wichtiger Stützpfeiler sein", fordert er.

In der Therapie von Patienten mit ADHS werden häufig die kindzentrierten Therapien zu sehr betont, sagt Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Professor Manfred Döpfner, Geschäftsführender Leiter des Zentralen ADHS-Netzes. "Die kindzentrierte Intervention hat sich als nicht so gut erwiesen wie die Umfeldtherapie." Es sei wichtig, mit der ganzen Familie zu arbeiten.

"Das Modul der Elternschulung ist ein ganz wichtiger Baustein des AOK-Vertrags", sagt auch Dr. Alexander von Stülpnagel, niedergelassener Pädiater und Kinder- und Jugendpsychiater in Krefeld. Das Verhältnis zu den Kindern und den Eltern sei entscheidend für den Erfolg der Therapie.

Von Stülpnagel plädiert dafür, dass sich alle Beteiligten auf eine einheitliche Sprachregelung und die Verwendung derselben Diagnostik-Instrumente wie Fragebögen verständigen. "Das wäre die Aufgabe eines regionalen Qualitätszirkels."

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