Zufallsbefund

Klinisch stummer Brustkrebs ist keine Seltenheit

Derzeit wird viel über den Grad an Überdiagnostik bei der Suche nach Brustkrebs gestritten. Australische Forscher haben versucht, das tatsächliche Ausmaß anhand der Ergebnisse von Autopsiestudien zu quantifizieren.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Zufallsbefund Brustkrebs

Zufallsbefund Brustkrebs

© Jan-Peter Kasper / dpa

ROBINA. Ob überhaupt und, wenn ja, wie viele beim Screening entdeckte Mammakarzinome als überdiagnostiziert zu betrachten sind, ist unter Brustkrebsspezialisten ein heftig diskutiertes Thema. Die einen sehen in der Zunahme an diagnostizierten Frühformen bei gleichzeitig bestenfalls geringen Auswirkungen auf die Mortalität ein Indiz für Überdiagnostik und stellen das Screening deshalb infrage. Die anderen halten zum Beispiel dagegen, es könne sehr wohl sein, dass die Brustkrebsinzidenz im Lauf der Zeit zunehme, eine unveränderte Mortalität bei mehr diagnostizierten Karzinomen sei daher als Screeningerfolg und nicht als Überdiagnostik zu werten.

Statt nach indirekten Hinweisen aus dem Abgleich von Inzidenz- und Mortalitätsraten Ausschau zu halten, haben sich australische Forscher um Elizabeth Thomas von der Bond University in Robina entschlossen, das Problem direkt anzugehen. Sie sahen sich 13 Studien aus den Jahren 1948 bis 2010 an, in denen die Autopsiebefunde von Frauen aller Altersgruppen aufgezeichnet worden waren, bei denen zu Lebzeiten kein klinischer Anhaltspunkt für eine Brustkrebserkrankung vorgelegen hatte (BMC Cancer 2017; 17: 808).

Die Auswertung der Daten durch Thomas und Kollegen ergab eine autoptische Prävalenz für inzidentelle invasive Mammakarzinome, In-situ-Karzinome und atypische hyperplastische Vorläuferläsionen von insgesamt 19,5 Prozent. Auf invasive Karzinome allein entfielen dabei 0,85 Prozent, auf Tumoren in situ bzw. neoplastische Vorläufer 8,9 Prozent bzw. 9,8 Prozent. Es war nicht zu erkennen, dass sich die Prävalenz über den untersuchten Zeitraum von mehr als 60 Jahren geändert hätte.

Dafür war festzustellen, dass die Pathologen umso öfter fündig geworden waren, je intensiver sie gesucht hatten: 20 oder mehr histologische Schnitte waren ein starker Vorhersageparameter für die Diagnose eines inzidentellen Karzinoms bzw. einer atypischen Hyperplasie. Invasiver Krebs wurde auch bei weniger penibler Suche nicht seltener entdeckt. Eine nach dem Lebensalter abgestufte Aussage über die Prävalenz inzidenteller Mammakarzinome war jedoch mangels Daten nicht möglich.

Laut Thomas und Mitarbeitern würden alle der genannten autoptisch gefundenen Karzinome unter heutigen Screeningbedingungen erkannt. "Das würde implizieren, dass etwa 11 Prozent der im Screening entdeckten und mindestens rund 7 Prozent aller invasiven Mammakarzinome überdiagnostiziert sind", so die Forscher. Die Zahlen würden vermutlich noch steigen, wenn empfindlichere Diagnosemethoden eingesetzt und mehr Frauen in höherem Alter untersucht würden.

Das Phänomen inzidenteller Malignome ist auch von anderen Tumorentitäten her bekannt. So lassen sich bei genauer Untersuchung bei bis zu 11 Prozent der Obduzierten zuvor nicht auffällig gewordenen Schilddrüsenkarzinome diagnostizieren. Prostatakarzinome als autoptisch-pathologischer Zufallsbefund werden bei 5 Prozent der unter 30-jährigen und bei fast 60 Prozent der über 79-jährigen Männer entdeckt.

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Kommentare
Dr. Patricia Klein 02.01.201813:29 Uhr

...aber dafür muss der Patient bestimmte Vorinformationen haben!

Die Gratwanderung zwischen Vorsorge und Überdiagnostik ist eine sehr diffizile. Und ich finde, gerade solche Untersuchungen helfen uns Ärzten sehr dabei, wieder bescheiden zu werden und nicht so viele vollmundige Versprechungen zu machen.
Ich persönlich habe für mich die Konsequenz gezogen und gehe (als Fachärztin!) NICHT zum Mamma-Screening. Ob ich mit dem "Vielleicht hätte..." leben kann, wenn bei mir ein fortschgeschrittenes Mamma-CA gefunden würde? Ich hoffe, ja, aber nicht einmal das kann man mit Sicherheit vorher sagen.
Für komplizierte Probleme kann es keine einfachen Lösungen geben, auch wenn wir Ärzte uns das gerne selbst vormachen.

Dr. Thomas Georg Schätzler 28.12.201714:27 Uhr

Postmortales Kaffeesatzlesen?

Das muss man sich mal vorstellen! Die Publikation "Prevalence of incidental breast cancer and precursor lesions in autopsy studies: a systematic review and meta-analysis" von Elizabeth T. Thomas et al. https://bmccancer.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12885-017-3808-1
hat von 1948 (!) bis 2010 mit einer weltweiten Datenbank-Recherche bei 2.363 Autopsien ganze 99 Fälle von inzidentellem Brustkrebs und Vorläufer-Läsionen beschrieben: In 62 Jahren bedeutet das jährlich nur 1,6 Fälle. Mehrere histologische Untersuchungen, jeweils mit über 20 histologischen Schnitten, bedeuteten einen starken Vorhersagewert von inzidentellem "in-situ-carcinoma" und "atypischer Hyperplasie", aber nicht für invasiven Brustkrebs. Die geschätzte mittlere Prävalenz von inzidentellem Brustkrebs und Vorläufer-Läsionen hätte 19,5% betragen.

["Results - We included 13 studies from 1948 to 2010, contributing 2363 autopsies with 99 cases of incidental cancer or precursor lesions. More thorough histological examination (=20 histological sections) was a strong predictor of incidental in-situ cancer and atypical hyperplasia (OR = 126·8 and 21·3 respectively, p < 0·001), but not invasive cancer (OR = 1·1, p = 0·75). The estimated mean prevalence of incidental cancer or precursor lesion was 19·5% (0·85% invasive cancer + 8·9% in-situ cancer + 9·8% atypical hyperplasia)"].

Zugleich starben weltweit im gleichen Zeitraum von 1948 bis 2010 innerhalb von 62 Jahren schätzungsweise 25,5 Millionen (!), Frauen an Brustkrebs.
Quelle: "Weltweit starben 1998 circa 412.000 Frauen an Brustkrebs, das sind 1,6 % aller gestorbenen Frauen. Damit ist Brustkrebs weltweit die häufigste krebsbedingte Todesursache bei Frauen. In der westlichen Welt ist Brustkrebs bei Frauen zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr die häufigste Todesursache überhaupt.
Brustkrebs – Wikipedia" - https://de.wikipedia.org/wiki/Brustkrebs

Die Schlussfolgerungen der von Robert Bublak in der Ärzte Zeitung hervorragend genau dargestellten Publikation von Thomas et al. stehen mit der Titelüberschrift: "Zufallsbefund - Klinisch stummer Brustkrebs ist keine Seltenheit" allerdings unvereinbar im Widerspruch und zugleich auf tönernen Füßen: Wer bei Autopsien von Unfall-Toten durch welche Einwirkungen auch immer (Verkehrsunfälle, Schusswaffengebrauch, Privat-, Sport- und Berufsunfälle, Fremdgewalt oder Suizid) z. B. Frühzeichen einer hypertensiven Herzerkrankung, einer KHK, einer Herzinsuffizienz, einer Arteriosklerose, einer Karotisstenose, einer Neurodegeneration, einer COPD, eines Bronchialkarzinoms, einer Nephro- oder Hepatopathie detektiert, wird daraus doch auch nicht schlussfolgern können, dass deshalb alle unsere präventiven und kurativen Untersuchungs-, Diagnose- und Therapieverfahren bei kardio-pulmonal-vaskulär-hepato-renal-neurologischen-Erkrankungen überflüssig, sinnlos oder gefährlich wären, bzw. eine Übertherapie darstellen würden.

["Conclusion - Our systematic review in ten countries over six decades found that incidental detection of cancer in situ and breast cancer precursors is common in women not known to have breast disease during life. The large prevalence pool of undetected cancer in-situ and atypical hyperplasia in these autopsy studies suggests screening programs should be cautious about introducing more sensitive tests that may increase detection of these lesions"].

Pathologen sollten sich vor postmortalen bzw. wissenschafts- und erkenntnistheoretischen "ex post"-Überinterpretationen hüten. Sie können die Welt der Toten und Verstorbenen uns klinisch und ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten nur erklären und interpretieren. Doch es kommt darauf an, durch aktives präventives, kuratives und auch palliatives Handeln bei unseren Patientinnen und Patienten die Lebens-Realität der Medizinischen Welt zu verändern!

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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