Benzo statt Beißholz

Lehrer sind in puncto Epilepsie lernfähig

Lehrer über Epilepsie aufzuklären, könnte sich für erkrankte Kinder auszahlen: Die Pädagogen sind dann eher bereit, den Betroffenen Notfallmedikamente einzuflößen und auf rustikale Methoden zu verzichten.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Krampfanfall im Klassenraum: Viele Lehrer wissen nicht, was zu tun ist.

Krampfanfall im Klassenraum: Viele Lehrer wissen nicht, was zu tun ist.

© [M] Junge: Jupiterimages / photos.com | tafel: Andrey Kiselev

LEIPZIG. Das Wissen unserer Pädagogen zum Thema Epilepsie ist nicht gerade das beste: Obwohl fast jeder Lehrer in seiner Laufbahn mit epilepsiekranken Kindern zu tun hat, wissen nur die allerwenigsten, wie sie sich bei einem epileptischen Anfall verhalten sollen. Darauf haben Pharmakologen und Pädiater um Henriette Dumeier von der Universität Leipzig bereits vor zwei Jahren hingewiesen.

In einer Umfrage unter rund 1200 Schul- und Vorschullehrern waren nur 15 Prozent der Pädagogen bereit, Epilepsiekranken bei einem Anfall ein Notfallmedikament zu geben. Deutlich mehr hielten es dagegen für eine gute Idee, dem krampfenden Kind etwas Hartes in den Mund zu stecken oder es im Anfall zu fixieren (33 Prozent der Schullehrer und 18 Prozent der Vorschullehrer).

Ähnlich viele waren der Ansicht, Abwarten bis der Anfall vorbei ist, sei das Beste, was sie tun könnten. Dass bei länger als fünf Minuten dauernden Anfällen dringend ein Benzodiazepin rektal oder bukkal verabreicht werden sollte, um einen lebensgefährlichen Status epilepticus abzuwenden, war den wenigsten klar. Immerhin ein Befund ließ die Forscher hoffen: 86 Prozent der Befragten wollten gerne mehr über Epilepsie erfahren.

Notfallmanagement erläutert

Hier setzt nun eine aktuelle Untersuchung des Teams um Dumeier an. Es klärte Vorschullehrerinnen aus Leipzig über Epilepsie auf und erläuterte ihnen das richtige Notfallmanagement (Acta Paediatrica 2017; online 26 Juni). Die Pädagoginnen waren in Kindergärten sowie bei der Nachmittagsbetreuung von Schülern bis zu einem Alter von zehn Jahren aktiv. Für die Schulung schickten die Forscher Einladungen an 276 Kindergärten in Leipzig.

Knapp 300 Lehrkräfte – zu über 90 Prozent Frauen – hatten zunächst Interesse und füllten einen Fragebogen aus, den ein Expertenpanel aus Neuropädiatern und klinischen Pharmakologen entwickelt hatte. Anhand von Multiple-Choice-Fragen konnten die Pädagoginnen die wichtigsten Epilepsiesymptome und Notfallmaßnahmen ankreuzen.

Rund 200 von ihnen nahmen später auch an einer 40 Minuten dauernden Schulung teil, in der sie über das Krankheitsbild und Notfallmaßnahmen unterrichtet wurden. Ein Jahr später konnten 123 der Lehrkräfte dazu bewegt werden, erneut den Fragebogen auszufüllen. Nur deren Angaben flossen in die Auswertung ein.

Vor dem Training hatten 8 Prozent der Teilnehmer alle fünf genannten Epilepsiesymptome richtig erkannt, ein Jahr danach waren es immerhin 15 Prozent. Vor der Schulung waren nur 31 Prozent bereit, ein Kind mit Epilepsie auf jeden Fall mit auf einen Ausflug mitzunehmen, danach 52 Prozent.

Für den Fall, dass ein Notfallmedikament verfügbar ist, waren weitere 25 Prozent vor der Schulung bereit, ein Kind mitzunehmen, danach immerhin 41 Prozent.

Nur 54 Prozent hätten vor der Schulung ein Notfallmedikament verabreicht, anschließend lag der Anteil bei 76 Prozent. Vor dem Training glaubten noch 13 Prozent, man müsse den Kindern beim Anfall etwas Hartes in den Mund stecken, danach hielten dies nur noch 6 Prozent für eine gute Idee.

Vor der Schulung befürchteten 28 Prozent juristische Schwierigkeiten, sollten sie bei der Ersten Hilfe etwas falsch machen. Dieser Anteil war ein Jahr später nur leicht auf 24 Prozent gesunken.

Gefahr durch Ertrinken unterschätzt

Insgesamt stieg also der Prozentsatz der Lehrkräfte, die bereit waren, die richtigen Notfallmaßnahmen zu treffen: einen Notarzt rufen, bei längeren Anfällen ein Benzodiazepin verabreichen und auf Beißhölzer, Fixierung oder ähnlich obsolete Maßnahmen verzichten.

Sowohl vor als auch nach der Schulung wusste nur etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmer, dass eine Epilepsie tödlich enden kann, nur 9 Prozent nannten nach dem Training Ertrinken als eine Haupttodesursache bei Epilepsie, davor niemand. Bei diesen Punkten müsse die Schulung wohl noch deutlicher werden, schreiben die Forscher um Dumeier.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Lehrerschulung wirkt!

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