Depression

Machen Antidepressiva aggressiv?

Menschen, die selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) einnehmen, begehen häufiger Gewaltverbrechen. Den Grund dafür konnte die schwedische Studie, in der diese Assoziation zutage getreten ist, aber nicht klären.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Aggressiv durch Antidepressiva? Die Quote an Schuldsprüchen aufgrund von Gewalttaten lag unter SSRI rund 20 Prozent höher.

Aggressiv durch Antidepressiva? Die Quote an Schuldsprüchen aufgrund von Gewalttaten lag unter SSRI rund 20 Prozent höher.

© Edler von Rabenstein / fotolia.com

STOCKHOLM. Die antidepressive Therapie mit SSRI wird immer wieder in Zusammenhang mit Gewalttaten gebracht, sei es gegen die eigene, sei es gegen andere Personen. In früheren Studien kam es dabei zu widersprüchlichen Ergebnissen.

In manchen wurde eine Abnahme von Gewaltverbrechen bei zunehmenden SSRI-Verschreibungen beobachtet, in einer Übersichtsarbeit wurde hingegen ein Gewaltüberschuss konstatiert.

SSRI-Einnahme öfter bei Frauen

Die Neurowissenschaftlerin Yasmina Molero vom Karolinska-Institut in Stockholm hat zusammen mit Kollegen das schwedische Patientenregister nach SSRI-Verschreibungen in den Jahren 2006 bis 2009 durchforstet und diese Daten mit den Angaben im Kriminalregister während der gleichen Zeitspanne verglichen (PLoS Med 2015; online 15. September).

Insgesamt hatten mehr als 850.000 Schweden, immerhin knapp 11 Prozent aller Einwohner, ein SSRI-Rezept erhalten. Dabei war der Anteil unter den Frauen fast doppelt so hoch gewesen wie unter den Männern (14,1 versus 7,5 Prozent).

Analysiert wurde die Rate der Verurteilungen nach Gewalttaten, wobei Phasen, in denen eine Person ein SSRI-Präparat einnahm, mit Zeiten ohne eine solche Therapie verglichen wurden (intrapersonaler Vergleich). Dabei war festzustellen, dass unter SSRI die Quote an Schuldsprüchen aufgrund von Gewaltverbrechen rund 20 Prozent höher lag.

Absolut betrachtet wurden 1 Prozent der Untersuchten verurteilt. Aufgegliedert in Altersgruppen blieb die Beziehung zwischen der SSRI-Einnahme und Gewalttätigkeit aber nur in der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen signifikant, mit Risikosteigerungen von 40 Prozent bei den Männern und 75 Prozent bei den Frauen - übrigens nur bei Einnahme niedriger, nicht aber bei mittleren oder hohen Dosen.

Die Kriminalitätsrate in dieser Altersgruppe von SSRI-Behandelten betrug 3 Prozent. Bei älteren Menschen verschwand die Assoziation.

Einfluss von Störfaktoren möglich

Bedingt durch das Studiendesign lässt sich der Einfluss unerkannter Störfaktoren aber nicht ausschließen. Zum Beispiel konnten die Ergebnisse nicht nach der Schwere der Symptome abgeglichen werden.

Auch war unbekannt, wie zuverlässig die Patienten ihre Medikamente einnahmen und ob nicht Restsymptome wie Impulsivität und Feindseligkeit verblieben. Dies könnte zumal dann der Fall gewesen sein, wenn die Patienten an einer bipolaren Störung gelitten und nicht zugleich eine die Stimmung stabilisierende Substanz verordnet bekommen hatten.

Auffallend war zudem, dass sich Patienten unter SSRI doppelt so häufig aufgrund von Alkoholmissbrauch in notfallmäßige Behandlung hatten begeben müssen wie in den Zeiten ohne eine solche Medikation.

Schließlich bliebe das Problem der Rückwärtskausalität zu klären, wonach die Verurteilung wegen einer Gewalttat womöglich erst den Anlass für eine SSRI-Einnahme geliefert hat, insofern darauf eine Phase der Depression gefolgt sein könnte.

Andererseits hat die schwedische Studie nun einmal einen Zusammenhang zwischen der SSRI-Therapie in der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen und einer relativ hohen Rate an Gewalttaten solcher Personen gezeigt. Sollte sich dies in weiteren Untersuchungen in verändertem Design bestätigen, so Molero und Kollegen, wären einschlägige Warnhinweise zur SSRI-Therapie zu erwägen. Dabei sei aber auch zu bedenken, welche Nachteile sich aus einem Therapieverzicht ergeben könnten - etwa eine erhöhte Morbidität und Suizidmortalität.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Seltsame Fälle

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Baby Blues

Postpartale Depression: Sport hilft, aber erst ab moderater Intensität

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Porträt

Felix Michl: Unternehmer, Jurist und Medizinstudent

Lesetipps
Arzt injiziert einem älteren männlichen Patienten in der Klinik eine Influenza-Impfung.

© InsideCreativeHouse / stock.adobe.com

Verbesserter Herzschutz

Influenza-Impfraten erhöhen: So geht’s!