Schule
Projekt „Prävention für Auszubildende“: Lernmodul für mehr Gesundheit
Das Projekt „Prävention für Auszubildende“ will junge Erwerbstätige an einen gesunden Lebensstil heranführen. Dafür konnten sie eigene Ideen einbringen.
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So sieht Brainstorming beim Präzubi-Projekt aus.
© DRV BS-H, LVG & AFS e.V.
Tiere streicheln, einen Schreiraum nutzen oder „Cocktailabend“ – das sind Ideen für mehr Gesundheit von Auszubildenden. Sie stammen aus einer Zwischenbilanz des Projektes „Prävention für Auszubildende“ („Präzubi“) und wurden in einer niedersächsischen Berufsschule gesammelt. Bis 2024 soll daraus ein passgenaues Lernmodul zur Gesundheitskompetenz für Berufsschulen sowie ein Präventionsangebot junge Erwerbstätige entwickelt werden.
Die Daten zur Kindergesundheit – ob vom Robert Koch-Institut, aus Studien einzelner Krankenkassen oder Expertisen von Stiftungen – sind nach wie vor erschreckend: Etwa ein Fünftel der Mädchen und Jungen gelten als übergewichtig, weitere sechs Prozent als adipös. Und viel zu wenige – ein knappes Drittel – bewegt sich täglich ausreichend. Hinzu kommen steigende psychische Belastungen aufgrund Versagensgefühlen oder Ängsten angesichts des fortschreitenden Klimawandels. Nicht zuletzt drängt auch die Ärzteschaft darauf, Gesundheitskompetenz als Bildungsziel im Schulwesen zu verankern.
Verhalten soll reflektiert werden
„Wir wollen die Jugendlichen anregen, ihr Verständnis und ihr Verhalten in Gesundheitsfragen zu reflektieren“, sagt Dr. Svenja Reiber, Präzubi-Projektleiterin bei der DRV Braunschweig-Hannover (DRV BS-H). „Präzubi“ ist Teil des Bundesprogramms rehapro und wird vom Bundesarbeitsministerium gefördert.
In der ersten, noch laufenden Projektphase haben die Landesvereinigung für Gesundheit (LVG) und die Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e.V. (AVS) als Kooperationspartner die Federführung übernommen. Sie verfügen über langjährige Erfahrung mit gesundheitsfördernden Projekten und insbesondere mit der partizipativen Entwicklungsarbeit an Berufsschulen. Derzeit wird mit Auszubildenden aus den Bereichen Pflege, Notfallsanitäter, Elektrotechnik und Raumausstatter in den jeweiligen Klassen gearbeitet.
Was verstehen Jugendliche unter Gesundheit?
Ziel ist es herauszufinden, was sie persönlich unter Gesundheit verstehen, welche Herausforderungen sie im Alltag erleben, welche Aktivitäten sie pflegen und was für Gesundheitsangebote sie sich wünschen. Aus den Antworten werden bis zum Sommer 2024 passgenaue Lernmodule erarbeitet und in Beispiele mit fiktiven Personen („Personas“) übertragen. „Wir wären nie darauf gekommen, wie wertvoll der Kontakt zu Tieren für die Jugendlichen ist oder dass sie sich einen ,Schreiraum‘ wünschen, um angestauten Frust loszuwerden“, sagt Reiber.
Mit Gesundheitskompetenz ist weit mehr gemeint als reines Gesundheitswissen. Der Begriff (englisch: Health Literacy) umfasst das individuelle Wissen, die Motivation und die Fähigkeit von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und im eigenen Verhalten anzuwenden.
Konzepte müssen passen
Dass sich Jugendliche mit viel Gesundheitskompetenz in der Regel auch gesundheitsbewusster verhalten, haben Forscherinnen des Robert Koch-Instituts und der Charité Universitätsmedizin in einer Ende 2021 veröffentlichten Studie bestätigt. Die Befragung von 1.235 Teenagern im Alter von 14 bis 17 Jahren ergab: Jugendliche mit niedrigen Leveln in Sachen Gesundheitskompetenz treiben seltener Sport und essen auch nicht täglich Gemüse oder Obst. Nötig seien Konzepte, die die Jugendlichen nicht nur bestärken, sich aktiv über Gesundheit zu informieren, sondern sie vor allem auch in ihren kommunikativen und interaktiven Fähigkeiten fördern.
Professor Orkan Okan von der Technischen Universität München verweist auf die „Toolbox Gesundheitskompetenz“, die Lehrkräfte der 7. bis 10. Klasse bereits jetzt einsetzen können. Orkan und sein Team haben im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung das Manual entwickelt. Darin finden sich konkrete Übungen sowie didaktische Empfehlungen zu gesundheitlichen Themen wie beispielsweise Ernährung, Sport, Impfungen oder auch der Umgang mit Fehlinformationen.
Toolbox zur sofortigen Anwendung
„Das Vorgehen zur Gesundheitskompetenz ist deckungsgleich mit den Lehrinhalten zur Medienkompetenz an Schulen“, betont der Experte für Health Literacy. Daher könne die Toolbox sofort innerhalb der bestehenden schulischen Strukturen angewendet werden. „Das Konzept funktioniert fächerübergreifend. Es lässt sich flexibel mit aktuellen curricularen Inhalten und speziellen Gesundheitsthemen füllen“, sagt Okan. Ergänzend könnten auch die Standards einer gesundheitskompetenten Schule (GeKoOrg-Schule) im Setting umgesetzt werden. Das Konzept wurde durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert und zielt auf soziale Aspekte, Strukturen, Rahmenbedingungen und Prozesse innerhalb und außerhalb der Schule, die wichtig für die Stärkung der Gesundheitskompetenz aller Personen im Setting sind.
Die Erkenntnisse aus „Präzubi“ sollen zweifach verwertet werden: „Ziel ist es zum einen, anhand beispielhafter Fälle gemeinsam mit den Berufsschülern gesundheitsförderliche Lösungen für den Arbeitsalltag zu erarbeiten“, sagt Julius Beckedorf, Berater für Schulen bei der DRV BSH. Zum Beispiel gehe es dann um ,Marco‘: Die fiktive Persona eines Auszubildenden berichtet, wie schwer es im Schichtdienst sei, sich ausreichend Zeit für eine gesunde Ernährung zu nehmen. Ab dem Schuljahr 2024/ 2025 sollen die Berufsschulen in Niedersachsen regelhaft ein entsprechendes Angebot für den Unterricht erhalten.
Grundlage für eine jugendgerechte Gestaltung
Zum anderen dienen die Erkenntnisse aus der ersten Projektphase als Grundlage, um die Inhalte des Präventionsprogramms RV Fit jugendgerechter zu gestalten. Ob „Tiere streicheln“, „Schreiraum“ oder „Cocktailabend“ – alle eingebrachten Ideen aus „Wünsche-dir-was“-Listen der Auszubildenden werden mit dem ärztlichen und therapeutischen Team der Präventionsabteilung des Rehazentrums Bad Eilsen diskutiert. „Wir arbeiten gerade an der Idee, einen Outdoor-Tag, vielleicht sogar mit Alpaka-Wanderung, aufzunehmen“, so Reiber.
Die Herausforderung bestehe darin, die Bedürfnisse der Zielgruppe ernst zu nehmen – gleichzeitig aber auch medizinische und therapeutische Standards sowie wissenschaftliche Erkenntnisse nicht zu übergehen. Auch wenn nicht alle Ideen in das therapeutische Konzept aufzunehmen sind, so werde versucht – wo möglich – alternative Einheiten zu gestalten, die lebensweltnah einen Beitrag zur Gesundheitskompetenz junger Menschen leisten können.