Debatte über die Impfpflicht
Verfassungsrechtler: „Impfskeptiker nicht kriminalisieren!“
Kommt die Impfpflicht? Wenn ja, sollten Verstöße nur moderat sanktioniert werden, fordert der Verfassungsrechtler Udo Di Fabio.
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Teilnehmer einer Demonstration gegen Corona-Einschränkungen in Hamburg Ende der vergangenen Woche. Die Impfpflicht ist besonders umstritten – und wird auch unter Politikern heftig debattiert.
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Frankfurt/Main. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Udo Di Fabio rät der neuen Bundesregierung, in Sachen Corona-Impfpflicht, „nichts übers Knie zu brechen“. Wie der Professor für öffentliches Recht an der Bonner Friedrich-Wilhelms-Universität in einem Vortrag am Dienstagabend erklärte, hängt die Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ganz entscheidend von der weiteren Entwicklung sowohl des Virus‘ als auch etwaiger neuer medikamentöser Optionen ab.
In Anbetracht dessen solle sich die Ampel-Koalition auch nicht an eigene Versprechungen aus dem Dezember gebunden fühlen. Organisiert wurde der Gesprächstermin von dem hessischen Branchen-Netzwerk „House of Pharma & Healthcare“.
„Spiel über Bande“ begeistert Juristen nicht
Di Fabio plädiert allerdings ausdrücklich für eine allgemeine Impfpflicht, sollte sich die Situation auf den Intensivstationen wieder verschärfen oder eine deutliche Zunahme der Sterbefälle drohen, weil ein erheblicher Bevölkerungsteil ungeimpft ist. Zugangsbeschränkungen gemäß 2G+, wie unlängst von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen, bedeuteten bereits eine unausgesprochene, mittelbare Impfpflicht.
Das sei „ein Spiel über Bande, das unter Juristen nicht nur Begeisterung auslöst“. Der Rechtssicherheit sei besser gedient, wenn „mit offenem Visier“ gespielt werde, so Di Fabio weiter.
In diesem Fall rechne er mit einer Impfpflicht allenfalls für Erwachsene oder, nach dem Vorbild Italiens, lediglich für ältere Bevölkerungsgruppen. Und: Aus Gründen der Staatsklugheit aber auch, um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu wahren, rate er, eine Impfpflicht nur mit moderaten Sanktionen wie einem einfachen Bußgeld zu flankieren. „Wir sollten Impfskeptiker nicht kriminalisieren.“
„Die Bundesregierung sollte einen Vorschlag machen“
Eine Vorladung vom Amtsarzt etwa und eine polizeiliche Vorführung bei Weigerung halte er für verfassungswidrig. Auch ein kaskadenartig sich erhöhendes Bußgeld bei fortgesetzter Impfunwilligkeit würde seiner Ansicht nach „die Zumutbarkeitsschwelle überschreiten“.
Die Frage, die das politische Berlin derzeit aber noch mehr als die Impfpflicht selbst zu beschäftigen scheint, nämlich ob ein Gesetzentwurf von der Regierung eingebracht oder mehrere Entwürfe aus dem Parlament heraus vorgelegt und der individuellen Gewissensentscheidung jedes Abgeordneten überlassen werden sollten, beantwortet der Bonner Verfassungsrechtler eindeutig zugunsten eines Handlungsauftrags an das Kabinett. Bei einer allgemeinen Impfpflicht handele es sich um einen „Baustein der Pandemie-Bekämpfung, nicht um eine Gewissensfrage wie die Sterbehilfe. Die Bundesregierung sollte einen Vorschlag machen!“ (cw)