Landtagswahl in Baden-Württemberg
Gesucht im Südwesten: Rezepte für eine gesunde Zukunft
Es knirschte zuletzt häufig in der grün-schwarzen Koalition. Gesundheit und Pflege waren dabei auffallend oft ein Zankapfel. Die Sicherstellung der Versorgung wird Topthema auch für die nächste Regierung sein.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Stuttgart. Koalitionen sind nie Liebesheiraten. In der grün-schwarzen Verbindung im Südwesten haben sich, je näher die Landtagswahl am 14. März rückt, immer mehr Risse gezeigt. Das betrifft nicht nur tagesaktuelle Themen wie die Corona-Teststrategie oder den Streit um Schulöffnungen. Gerade bei zentralen gesundheits- und pflegepolitischen Themen zeigte sich die Koalition zuletzt immer häufiger zerstritten.
Das für die CDU hoch symbolische Thema der Landarztquote wurde bei der letzten regulären Landtagssitzung noch über die Bühne gebracht: Im Endausbau sollen künftig jährlich 75 Medizinstudienplätze via Quote vergeben werden. Insgesamt – das war Konsens – wird die Zahl der Medizinstudienplätze um 150 aufgestockt.
Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) war insoweit mit einem Thema beauftragt, das seine Fraktion als überflüssig ansah. Man einigte sich nach langem Streit schließlich auf einen Doppelpack: Die CDU erhält die Quote, auf Wunsch der Grünen wird ein sogenanntes Neigungsprofil Allgemeinmedizin an allen fünf Medizinfakultäten im Land etabliert. So sollen Studierende frühzeitig für das Fach begeistert werden.
Quoten-Landärzte erst ab 2034
Das tut not, denn im Südwesten sind mehr als 2600 Hausärzte über 60 Jahre alt – die größte Gruppe unter ihnen sogar über 65. Da helfen auch keine Quoten-Landärzte, die frühestens ab dem Jahr 2034 den Kittel zur Patientenversorgung anziehen.
Der Trend bei den Weiterbildungszahlen in der Allgemeinmedizin ist zwar positiv – 234 junge Ärzte schlossen 2019 ihre Weiterbildung ab – doch das reicht nicht, um die vielen Praxischefs zu ersetzen, die bald in den Ruhestand gehen könnten. Die Versprechen der CDU in ihrem Wahlprogramm sind vor diesem Hintergrund ein bunter Blumenstrauß: Online-Sprechstunden finanziell fördern, Teamarbeit ermöglichen, Hausärzte von Bürokratie entlasten und Hindernisse bei kooperativen Praxisformen beseitigen sind dabei die Stichworte.
Die Grünen indes erwähnen in ihrem Programm niedergelassene Ärzte nur noch indirekt und setzen stattdessen auf sogenannte Primärversorgungszentren. Im vergangenen Dezember hat das Gesundheitsministerium ein Förderprogramm aufgelegt, das vier derartige „Multifunktionshäuser“ mit rund einer Million Euro unterstützt. „Erst zur Hausärztin, dann zum Friseur (...) – für alles braucht man dann nur noch einen Weg“, heißt es im Grünen-Wahlprogramm. Doch die Probleme bleiben auch für die nächste Landesregierung akut – schon jetzt können 600 Hausarzt- und 130 Facharztpraxen nicht nachbesetzt werden.
Die FDP zeigt sich offen für beides: Sie will am „Leitbild“ des niedergelassenen Arztes festhalten und zugleich neue Formen der Berufsausübung unterstützen, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Die SPD bringt hier von Kommunen getragene MVZ als weitere Option ins Spiel.
Pflegekammer auf Eis gelegt
Die Etablierung einer Pflegekammer war – anders als die Landarztquote – ein grünes Projekt. Nach einer nicht glücklich verlaufenen Befragung, an der nur knapp 2700 Pflegekräfte teilnahmen, sprach sich jeder vierte Befragte gegen die Kammer aus. Im Pandemiejahr 2020 ging dem Projekt dann die Luft aus: Sinnvoll sei es nur, „wenn es eine angemessene Phase der Einführung gibt, die eine breite Unterstützung aus Regierung und Parlament erfährt“, schrieb Minister Lucha im vergangenen September mit bitterem Unterton an die Regierungsfraktionen. Denn die CDU hatte zugesehen, wie der grüne Partner mit dem Projekt auf Grund fuhr – die Etablierung der Kammer wurde auf Eis gelegt. Die Grünen haben angekündigt, das Projekt in der neuen Legislatur zum Erfolg führen zu wollen.
Eine weitere Dauerbaustelle der nächsten Regierung bleibt die Transformation der Krankenhauslandschaft im Südwesten. Im Jahr 2017 fuhren bei bester Konjunktur 70 Prozent der 30 größten Klinikverbünde im Südwesten Verluste ein. Von diesen 30 Verbünden befanden sich 24 in öffentlicher und fünf in frei-gemeinnütziger Trägerschaft. Die Schulden dieser großen Klinikgruppen betrugen schon damals 3,7 Milliarden Euro.
Bisher werden nur Betten geplant
Der Krankenhausplan sieht bislang de facto nur eine Bettenplanung nach altem Stil vor. Vor allem Kassen drängen darauf, Qualitätsnormen verbindlich in den nächsten Krankenhausplan aufzunehmen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) brachte dies vergangenen Herbst auf die Formel: „Wir können letztlich nur Krankenhäuser erhalten, in den sich die Patienten auch behandeln lassen. Alles andere macht keinen Sinn.“
Das Landessozialministerium hatte es allerdings im Sommer 2018 abgelehnt, dass planungsrelevante Qualitätsindikatoren, die auf Bundesebene entwickelt wurden, automatisch Teil des Landeskrankenhausplans werden sollten. Diese seien „nicht geeignet“, eigene Qualitätskriterien hat das Land entgegen der eigenen Ankündigung aber bisher nicht vorgelegt.
Die Versprechen der Parteien im Hinblick auf die Zukunft der stationären Versorgung bleiben wolkig. Die CDU will „den tatsächlichen Versorgungsbedarf der Bevölkerung“ bei der Krankenhausplanung besser abbilden. Die Grünen signalisieren, Kliniken in kommunaler Trägerschaft unterstützen zu wollen – sagen aber nichts über die Zukunft von Häusern in anderer Trägerschaft.
„Sie kennen mich“
Unterdessen setzen die Grünen auch in der Schlussphase des Wahlkampfs auf den populären Ministerpräsidenten. Dazu haben sie auf den Wahlplakaten keck einen Satz von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aus dem Bundestagswahlkampf 2013 kopiert: „Sie kennen mich“. Die Rechnung der Grünen könnte aufgehen: Glaubt man Umfragen, wollen auch zwei Drittel der CDU-Anhänger, dass Kretschmann Landesvater bleibt.
Landtagswahl am 14. März
- In den 70 Wahlkreisen konkurrieren 21 Parteien sowie 639 Bewerber und 233 Bewerberinnen um Mandate. Der Frauenanteil beträgt damit 27 Prozent.
- Rund 7,7 Millionen Bürger in Baden-Württemberg sind wahlberechtigt, darunter sind etwa 500 000 Erstwähler.
- 70 der mindestens 120 Mandate im Landtag werden über sogenannte Erstmandate vergeben. Danach ist im Wahlkreis gewählt, wer die meisten Stimmen erreicht hat.
- Bei der letzten Landtagswahl am 13. März 2016 erzielten die Grünen 30,3 Prozent, die CDU 27,0 Prozent. Größte Oppositionsfraktion ist die AfD mit 15,1 Prozent. Die SPD kam auf 12,7, die FDP auf 8,3 Prozent.
- In Umfragen von Anfang Februar kommen die Grünen auf 34 Prozent – und damit auf fünf bis sechs Prozentpunkte mehr als die CDU. Die SPD wird auf 11 Prozent taxiert, die FDP auf 10 Prozent. Auch die Umfragewerte der AfD schwanken zwischen 10 und 11 Prozent.