Klinische Umgang mit SARS-CoV-2
Hausärzte veröffentlichen S1-Leitlinie zu COVID-19
Zu SARS-CoV-2 und COVID-19 ist gute Evidenz noch immer rar. Anekdotische Publikationen beherrschen die Literatur. Hausärzte versuchen jetzt, mit einer „Living Guideline“ etwas Klarheit zu schaffen.
Veröffentlicht:Berlin. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) hat eine S1-Leitlinie „Neues Coronavirus – Informationen für die hausärztliche Praxis“ veröffentlicht (AWMF-Nummer 053-054).
Die Leitlinie soll als sogenannte „Living Guideline“ regelmäßig angepasst werden. Dazumal sich das Wissen um das neue Coronavirus SARS-CoV-2 und die durch die Infektion ausgelöste Erkrankung COVID-19 regelmäßig verändert.
In der Leitlinie empfiehlt die DEGAM Hausärzten, nur dann Abstriche für die Testung auf das Coronavirus zu machen, wenn sie mit Schutzausrüstung ausgestattet sind, insbesondere Schutzmasken (FFP2/FFP3).
Wann immer möglich sollten Patienten in Testzentren geschickt werden. Alternativ können Patienten selbst einen Rachenabstrich machen. Die DEGAM hat dazu eine Anleitung veröffentlicht.
Abhängig des CRB-65-Index sollten Hausärzte die Krankenhauseinweisung erwägen (bei einem Punkt) oder unbedingt in Betracht ziehen (ab zwei Punkten). Für jedes treffende Kriterium zählt dabei ein Punkt.
CRB-65-Index
- Confusion: pneumonie-bedingte Verwirrtheit, Desorientierung
- Respiratory rate: Atemfrequenz ≥30/Minute
- Blood pressure: Blutdruck diastol. ≤60 mmHg oder systol. <90 mmHg
- 65: Alter ≥65 Jahre
Telesprechstunden ausbauen
Bei klinisch leichten Verläufen sollten die Patienten telefonisch betreut und ihnen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt werden. Das Muster 1 kann seit Kurzem für bis zu sieben Tage Dauer telefonisch ausgestellt werden – jedoch nur, wenn kein V.a. COVID-19 vorliegt. Die Selbstverwaltung will noch diese Woche entscheiden, ob die Dauer für eine telefonische AU-Bescheinigung auf 14 Tage angehoben wird.
Hausarztpraxen sollten – auch als Eigenschutz – der Leitlinie zufolge „möglichst wenig Infektpatienten in der Praxis“ behandeln. Ärzte sollten eine zeitlich und, wo möglich, auch räumlich getrennte Infektsprechstunde einrichten. Auch sollten sie Telefon- und Videosprechstunden ausbauen. Das Praxispersonal sollte Patienten bereits telefonisch „triagieren“.
Kinder, so die DEGAM-Autoren, sollten möglichst nicht während einer Chroniker-Sprechstunde einbestellt werden. Sie gelten als mögliche Vektoren für SARS-CoV-2, fallen aber oft nicht auf, da sie meist asymptomatisch sind oder nur blande Verläufe haben.
Hausärzte sollten zudem erwägen, nicht „zwingend nötige Termine“ zu verschieben, insbesondere für Screeninguntersuchungen oder Termine im Rahmen von DMP-Programmen.
Ibuprofen, ACE-Hemmer oder Sartane nicht absetzen
Klinisch empfiehlt die DEGAM, auf bestimmte Komorbiditäten zu achten, die auf ein erhöhtes Risiko für Komplikationen deuten könnten:
- Hypertonie,
- Diabetes mellitus,
- Kardiovaskuläre Erkrankungen,
- COPD oder Raucher-Anamnese,
- Immunsuppression.
- Auch Alter (ab 60 Jahre) könnte demnach als „moderater Risikofaktor“ gelten.
Bei ungeimpften Risikogruppen sollte die Impfung gegen Influenza und Pneumokokken erwogen werden – sofern Impfstoff verfügbar ist. Zumindest Pneumokokkenvakzine gelten derzeit allerdings als defekt.
Sartane, ACE-Hemmer, Glitazone oder Ibuprofen abzusetzen oder auszutauschen, empfiehlt die DEGAM „zum jetzigen Zeitpunkt“ mangels „belastbarer Evidenz“ nicht. Allerdings weisen die Autoren auf „ experimentell gut belegte und breit publizierte“ Hinweise hin, dass diese Substanzen den ACE2-Rezeptor hochregulieren. Über den Rezeptor dockt das Sarbecovirus SARS-CoV-2 an die humanen Wirtszellen an.
Ebenfalls bei der AWMF angemeldet wurden bislang S1-Leitlinien für Palliativmediziner (AWMF-Nr. 128-002) sowie für Hämatologen und Onkologen (AWMF-Nr. 018-037).