SARS-CoV-2

Wann und wo Ärzte Desinfektionsmittel herstellen dürfen

Die WHO hat zwei einfache Rezepturen für die Herstellung von Hände-Desinfektionsmitteln parat. Doch hierzulande schiebt die Biozidverordnung dem einen Riegel vor. Jetzt reagieren erste Bundesländer, um die Rezeptur-Herstellung doch zu ermöglichen.

Ruth NeyVon Ruth Ney Veröffentlicht: | aktualisiert:
Die Sorgfalts- und Hygienepflichten für Ärzte sind streng – in der Praxis ebenso wie beim Notfall-Besuch. Doch was tun, wenn das Händedesinfektionsmittel ausgeht?

Die Sorgfalts- und Hygienepflichten für Ärzte sind streng – in der Praxis ebenso wie beim Notfall-Besuch. Doch was tun, wenn das Händedesinfektionsmittel ausgeht?

© Rodja / Fotolia

Neu-Isenburg. Auch Händedesinfektionsmittel werden derzeit knapp. Die WHO hat einfach herzustellende Rezepturen für Desinfektionslösungen parat. Doch die EU-Biozidverordnung steht dem entgegen. Bislang. Denn nun sollen zumindest Apotheker die Rezepturen selbst herstellen dürfen.

Und Ärzte? Vorgeprescht waren Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein mit Ausnahmeregelung. Sie beziehen sich aber nur auf Apotheken, über die Ärzte ihren Bedarf anmelden können. Die Eigenherstellung in der Arztpraxis ist nicht erwähnt worden.

Anders in Hessen: Hier bestätigte das Sozialministerium der „Ärzte Zeitung“, dass sowohl Apotheken berechtigt sind, Rezepturen und auch Defekturen (in größerem Maßstab) von Händedesinfektionsmitteln durchzuführen. Dazu sei keine Ausnahmegenehmigung notwendig.

Hintergrund ist die Maßgabe, dass es sich bei Händedesinfektionsmitteln um Arzneimittel und nicht um Biozide handle, wenn der Hauptfokus der Anwendung auf der Infektionsprophylaxe liege.

Und auch Ärzte bedürfen laut Paragraf 13 Absatz 2b des Arzneimittelgesetzes (AMG= keiner Herstellungserlaubnis, „soweit die Arzneimittel unter ihrer unmittelbaren fachlichen Verantwortung zum Zwecke der persönlichen Anwendung bei einem bestimmten Patienten hergestellt werden“, heißt es in einer Stellungnahme.

Ärzte müssen die Herstellung aber gemäß Paragraf 67 AMG der zuständigen Behörde, in Hessen den Regierungspräsidien, angezeigt werden. Auf der Homepage der Landesapothekerkammer findet sich ein weiterer Hinweis:

Am Mittwoch wurde dann auch die Bundesregierung aktiv. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) hat gemäß Artikel 55 EU-Biozidverordnung für Desinfektionsmittel eine Ausnahmezulassung für Händedesinfektionsmittel erlassen.

Sie gilt bundesweit für die Herstellung und das Inverkehrbringen 2-Propanol-haltiger Biozidprodukte zur hygienischen Händedesinfektion. Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Formulierung:

  • 2-Propanol 99,8% (v/v) 75,15 ml
  • Wasserstoffperoxid 3% (v/v) 4,17 ml
  • Glycerol 98% (v/v) 1,45 ml
  • Gereinigtes Wasser ad 100,00 ml
  • sowie für 2-Propanol-Wasser-Gemisch 70 % (v/v)
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Unterschiedliche Begründung von Ausnahmen

Das Gesundheitsministerium in Schleswig-Holstein teilte zuvor mit, dass es seine „Zustimmung zur Eigenproduktion von Handdesinfektionsmitteln erteilt“. Für Defekturarzneimittel gilt grundsätzlich die 100er-Regelung, dass nur maximal 100 Einheiten hergestellt werden dürfen. Bei einem begründeten Mehrbedarf kann auf Antrag eine darüber hinaus gehende Genehmigung erteilt werden.

In Nordrhein-Westfalen – ähnlich wie in Hessen – vertritt man eine etwas andere Rechtsauslegung. Die Apothekerkammer NRW verweist dazu auf das Schreiben des Gesundheitsministeriums.

Darin wird erläutert, dass die EU-Biozidverordnung gemäß Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe c) gar keine Anwendung auf speziell zur Prophylaxe einer SARS-CoV-2-Infektion bestimmte und entsprechend gekennzeichnete Händedesinfektionsmittel finde.

Bei diesen Produkten handle es sich um Arzneimittel. Somit sei die Herstellung etwa der WHO-Desinfektionsmittel – auch als Defektur bis zu 100 abgabefertigen Packungen je Tag – im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs möglich.

Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) rät allerdings explizit davon ab, dass etwa Patienten sich Desinfektionsmittel selbst in der Küche mischen. „Die Herstellung ist alles andere als trivial – nicht auch zuletzt wegen der Entzündbarkeit der Ausgangsstoffe“, sagte ein Sprecher der „Ärzte Zeitung“.

Man habe in Nordrhein-Westfalen eine sinnvolle und praktikable – sowie rechtssichere – Lösung gefunden, die Versorgung mit Desinfektionsmitteln zu sichern, sodass das auch gar nicht nötig sei.

Dass die Eigenherstellung hierzulande nicht ohne Weiteres erlaubt ist, liegt an der EU-Biozidverordnung. Ohne spezielle Zulassung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) dürfen Apotheken diese dann auch nicht herstellen. Die haben allerdings die wenigsten.

Die Biozid-Verordnung (528/2012) regelt Verkauf und Abgabe und die Verwendung von Biozidprodukten in ganz Europa. Daher betrifft die Biozid-Verordnung sowohl Händler, Inverkehrbringer als auch Verwender von Biozidprodukten. Allerdings ist darin ein Hintertürchen enthalten:

Tritt nämlich ein Notfall ein, kann laut Artikel 55 Biozidverordnung „eine zuständige Behörde befristet für eine Dauer von höchstens 180 Tagen“ die Herstellung, Abgabe und Verwendung von nicht zugelassenen Desinfektionsmitteln erlauben. Zuständig sind in diesem Fall die Landesregierungen. Und genau das regelt jetzt die bundesweite Ausnahmeregelung.

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