Sp(r)itzensport
Der Traum vom sauberen Profi-Fußball?
Jeden Spieler testen: Das verspricht die UEFA zur heute startenden Fußball-EM in Frankreich. Ein Mainzer Dopingexperte hält das schlicht für bloße Geldverschwendung. Ist ein doping-freier Profi-Fußball nur ein frommer Wunsch?
Veröffentlicht:Deutschland im Fußballfieber! Zwei Jahre nach dem WM-Triumph in Brasilien hofft das ganze Land, dass Jogis Jungs in Frankreich nun auch Europameister werden.
Am Sonntag startet die deutsche Mannschaft gegen die Ukraine ins Turnier, das sie hoffentlich erst am 10. Juli in Paris mit einem Sieg im Finale beenden wird. Die Organisatoren versprechen ein sicheres und sauberes Turnier.
UEFA: Jeden Spieler mindestens einmal testen
Angesichts der aktuellen Dopingaffären kündigt die UEFA für Frankreich "die umfangreichsten Anti-Doping-Kontrollen, die es jemals in einer Mannschaftssportart gegeben hat", an. Schon im Vorfeld der Europameisterschaft hatte Michel D'Hooghe, Chefmediziner der UEFA, versprochen, sämtliche Spieler, die für die EM-Teilnahme infrage kämen, bis zum Turnier mindestens einmal zu testen.
Auch die deutsche Nationalmannschaft erhielt Ende Mai in ihrem Trainingsquartier in Ascona unangemeldeten Besuch von Kontrolleuren, die acht Spielern Blut- und Urinproben abnahmen. Bayernprofi Robert Lewandowski, auf dessen Torinstinkt unsere polnischen Nachbarn vertrauen, wurde im EM-Trainingscamp Arlamow in Polen um 7 Uhr morgens aus dem Bett geholt. Und von der russischen Fußballnationalmannschaft mussten bei einem Besuch von UEFA-Kontrolleuren im Trainingslager Bad Ragaz gleich zehn Spieler Dopingproben abgeben.
Während des Turniers soll es Wettkampfkontrollen nach allen 51 Partien geben. Dazu ist ein Team von 20 Doping-Kontrolleuren vor Ort.
Alle Proben werden aufbewahrt
Die genommenen Proben werden im Labor der nationalen französischen Anti-Doping-Organisation AFLD in Châtenay-Malabry, rund zehn Kilometer von Paris, analysiert. Erstmals in der Geschichte des Fußballs werden sämtliche Proben aufbewahrt, um künftige Nachtests zu ermöglichen.
Ergebe eine Neu-Analyse einen positiven Befund, werde der betreffende Spieler gesperrt, heißt es in den Statuten; möglich seien darüber hinaus auch die Aberkennung eines Titels und der Ausschluss eines Spielers von zukünftigen Wettbewerben. Die Verjährungsfrist beträgt zehn Jahre.
Kritik von Dopingexperten: "Eine riesige Geldverschwendung"
Zweifel an der Effektivität solcher Nachtestungen äußerte der Dopingexperte Professor Perikles Simon, Leiter der Abteilung für Sportmedizin an der Universität Mainz, unlängst auf einem internationalen Doping-Symposium in Frankfurt am Main.
Mit Blick auf die jüngst erfolgten Nachtests der Olympia-Proben von 2008 und 2012 sagte er: "Man hat jetzt die Möglichkeit, bestimmte Substanzen länger nachzuweisen, aber das echte Hightech-Doping, das damals nicht nachweisbar war, ist es auch heute nicht."
Überhaupt hält Simon das Dopingkontrollsystem in seiner jetzigen Form für eine riesige Geldverschwendung. Schlimmer noch: Dadurch, dass aktuelle Testverfahren den Betrugsmethoden um Jahre hinterherhinkten, würden Athleten sogar noch zum Doping animiert. "Momentan sind wir auf dem Stand, dass die mangelhaften Nachweisverfahren die Dopinghaltung der Sportler massiv unterstützen und fördern", sagte Simon. Das werde wahrscheinlich noch auf Jahre so bleiben.
Kein flächendeckendes Doping im Fußball?
Dass im Fußball großflächig gedopt wird, glaubt der Mainzer Experte indes nicht. "Unsere Prävalenz-Studien haben ergeben, dass nur die absolute Leistungselite dopt", sagte der Sportmediziner im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Als Beispiel nennt er den 100-Meter-Lauf, eine Disziplin, in der nur Hundertstelsekunden entscheiden und in der die Weltspitze eng beieinanderliegt.
Allerdings verweist Simon die von Funktionären, Trainern und ehemaligen Spielern häufig geäußerte Hypothese, dass Doping im Fußball nichts bringe, ins Reich der Mythen. Erythropoietin (Epo) beispielsweise steigere die Regenerationsfähigkeit, Laufleistung und Sprintausdauer; Testosteron die Konzentrationsfähigkeit, Sprintschnelligkeit und das Durchsetzungsvermögen.
Amphetamine erhöhten die Maximalleistung und die Aufmerksamkeit über die komplette Spieldauer; Wachstumshormone könnten die Ausdauer und die Körperkomposition verbessern. Auch Cortison und Insulin bringen nach Auffassung von Experten gerade in kräftezehrenden Turnieren Wettbewerbsvorteile.
Anonymisierte Studie der UEFA: Dopen fast 8 Prozent aller Spielern?
Indizien dafür, dass im Spitzenfußball tatsächlich gedopt wird, lieferte jüngst eine ausgerechnet von der UEFA in Auftrag gegebene Studie, bei der 4195 anonymisierte Urinproben von 879 Fußballprofis aus den Jahren 2008 bis 2013 nachgetestet wurden. Dabei fand man bei 7,7 Prozent der Spieler auffällige Testosteronwerte.
Vor wenigen Monaten wurde der kroatische Nationalspieler Arijan Ademi beim Anabolikadoping erwischt: Nach der Champions-League-Partie zwischen Dinamo Zagreb und FC Arsenal testete man Ademi positiv auf Stanozolol und sperrte ihn daraufhin für vier Jahre. Das Ergebnis des Spiels - 2:1 für Zagreb - blieb jedoch bestehen, was Arsenals Trainer Arsène Wenger als fatales Signal der UEFA empfand.
Der Erfolgscoach ist im Übrigen einer der ganz wenigen Trainer, die Doping im Fußball offen anprangern. Erst Ende 2015 sagte er in einem Interview mit der französischen Zeitung "L'Equipe": "In 30 Jahren als Trainer habe ich meinen Spielern nie ein Produkt verabreicht, das zur Verbesserung ihrer Leistung führt. Ich bin stolz darauf. Ich habe gegen viele Teams gespielt, die das nicht so gesehen haben."
Mediziner waren immer beteiligt
Belege für Doping im Fußball gibt es seit Jahrzehnten - und immer waren Mediziner daran beteiligt: In den 1990er Jahren versorgte der Italiener Dr. Riccardo Agricola, Teamarzt von Juventus Turin, seine Schützlinge mit Erythropoietin und anderen unerlaubten Substanzen.
Ein Jahrzehnt später gab der spanische Gynäkologe Dr. Eufemiano Fuentes an, außer Radsportlern wie Jan Ullrich auch Fußballprofis von Real Madrid und dem FC Barcelona beim Doping geholfen zu haben. Und erst vor kurzem brüstete sich der englische Gynäkologe Dr. Mark Bonar gegenüber einem verdeckt ermittelnden Journalisten der ARD, dass unter den von ihm mit Dopingpräparaten versorgten Spitzenathleten auch etliche Fußballprofis der Premier League seien.
Auch in Deutschland halfen Ärzte beim Doping
In Deutschland haben Ärzte Fußballern in der Vergangenheit ebenfalls dabei geholfen, ihre Leistung mit unerlaubten Mitteln und Methoden zu verbessern. Sportmediziner Perikles Simon war Mitglied in der mittlerweile aufgelösten Untersuchungskommission zur Aufarbeitung der Doping-Vergangenheit der Universität Freiburg.
Dort soll man unter Anleitung des Sportmediziners Armin Klümper Anfang der 1980er Jahre die Bundesligavereine VfB Stuttgart und SC Freiburg mit anabolen Steroiden versorgt haben.
Anschuldigungen, die auch der ehemalige Fußball-Nationaltorwart Toni Schumacher 1987 in seiner Autobiografie "Anpfiff" erhoben hat, ohne dass man ihm damals glaubte. Restlos aufgeklärt wurden die Vorwürfe nie.
Dopingskandale wie die genannten - die meist erst sehr spät ans Licht kamen - bestätigen Perikles Simon in seiner Auffassung, dass Doping allein von Staatsanwälten (und in gewissem Maße auch durch die Recherchen von Journalisten) wirksam bekämpft werden kann. Grundlage für staatsanwaltliche Ermittlungen in Deutschland bietet das im Dezember 2015 in Kraft getretene, umstrittene Anti-Doping-Gesetz.
Marco Russ: Ein tragischer Fall
Dass die Ermittlungsbehörden im Verdachtsfall unmittelbar aktiv werden, zeigte vor Kurzem der tragische Fall des Fußballprofis Marco Russ vom Bundesligisten Eintracht Frankfurt: Russ war nach der Partie gegen SV Darmstadt 98 positiv auf das Wachstumshormon HCG getestet worden.
Nachdem die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) die Frankfurter Staatsanwaltschaft über die positive Dopingprobe informiert hatte, untersuchten Polizisten den Spind, das Hotelzimmer und das Wohnhaus des Eintracht-Spielers. Dazu sind die Ermittler laut Gesetz verpflichtet.
Allerdings war zu diesem Zeitpunkt bereits klar, dass Russ nicht gedopt hatte, sondern an einem Tumor erkrankt ist. Da das Bekanntwerden der Krankheit und die Durchsuchung zeitlich eng zusammen fielen, war es dem Verein nicht möglich, der Staatsanwaltschaft vorher ein entsprechendes Attest vorzulegen.
Kurios ist auch die Vorgeschichte zu diesem Fall, dem eine andere vermeintliche Dopingaffäre vorausging: Russ‘ Teamkollege Änis Ben-Hatira hatte wenige Wochen zuvor auf der Internetplattform Snapchat ein Foto gepostet, auf dem Kanülen, Spritzen und Ampullen zu sehen waren.
Ein Behälter trug die Aufschrift "Lipotalon", ein Präparat, das Dexamethason enthält, ein im Wettkampf verbotenes Kortisonpräparat. Zwar bestritt Ben-Hatira die Einnahme des Medikaments, doch die Nada sah sich veranlasst, im Spiel gegen Darmstadt mehr Frankfurter Profis als üblich zu testen. Einer von ihnen war Marco Russ.