Mehr Steuerzuschüsse
Bayerns Gesundheitsminister startet neuen Anlauf für Pflegereform
Pflegekräfte flüchten erschöpft und frustriert aus dem Beruf, die Corona-Pandemie könnte diesen Trend noch verschärfen. Bayerns Gesundheitsminister hat nun ein Konzept für eine Pflegereform vorgelegt. Wesentlicher Teil: Höhere Steuerzuschüsse.
Veröffentlicht:Nürnberg/Berlin/Passau. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hat für eine Reform der sozialen Pflegeversicherung (SPV) eine ständige Pflegereserve und steuerliche Vergünstigungen für die Pflegekräfte vorgeschlagen. „Wir müssen mehr Menschen, mehr Köpfe im System haben, ich glaube das ist unabdingbar“, sagte Holetschek der Deutschen Presse-Agentur.
Es sei etwa denkbar, Zuschläge steuerfrei zu stellen. Die Kosten wären dann vom Steuerzahler zu tragen. „Ich möchte, dass wir uns über den Wert der Pflege unterhalten und uns auch gesellschaftlich noch mal versichern, was wir denn wollen“, sagte der Minister. Bayern wolle nun „verstärkt der Reformmotor“ sein, wird er zusätzlich in einer Aussendung seines Ministeriums vom Sonntag zitiert.
Es gebe nur zwei Richtungen: Entweder gehe es hin zu einer Pflegeversicherung oder zu einem Steuerzuschuss. Der Pflegeberuf müsse mehr Kompetenzen übertragen bekommen und zu einem echten Beruf der Gesundheitsvorsorge entwickelt werden. „Fakt ist, dass wir so nicht weitermachen können“, sagte Holetschek der dpa.
Erste Pläne auch aus dem Hause Spahn
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte Ende vergangenen Jahres Pläne für eine Reform der SPV vorgelegt. Danach soll die Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen für die Pflege auf höchstens 700 Euro pro Monat für längstens 36 Monate begrenzt werden, also auf etwa 25.000 Euro. Nach Ablauf der 36 Monate soll die Pflegeversicherung die gesamte Eigenbeteiligung für die Pflege übernehmen.
Die zusätzlichen Kosten, die dadurch bei der Pflegeversicherung auflaufen würden, sollen aus dem Steueraufkommen beglichen werden. Zusätzlich sollen die Bundesländer sich mit 100 Euro für jeden vollstationär versorgten Pflegebedürftigen an den Investitionskosten der Heime beteiligen und damit die Pflegebedürftigen weiter entlasten.
Nach Berechnungen der Universität Bremen könnte allein diese Entlastung die Zahl der Sozialhilfeempfänger deutlich senken.
Corona-Pandemie könnte Mangel verschärfen
Die Notwendigkeit für Reformen zeigt sich nach Ansicht von Intensivmedizinern auch durch die Corona-Pandemie. „Die Krise der deutschen Pflege hat sich durch die Corona-Pandemie jetzt noch einmal erheblich verschärft und wird sich weiter verschärfen“, sagte Professor Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag).
„Wir müssen die Flucht aus dem Pflegeberuf unbedingt stoppen.“ In der beginnenden dritten Welle der Pandemie hielten die Pflegenden derzeit aus Pflichtgefühl noch durch, die Frage sei aber, was danach komme, warnte Marx. Nach einer neuen Umfrage überlegten rund 32 Prozent der Pflegenden derzeit, aus dem Beruf auszusteigen.
Der Präsident des Deutschen Pflegerates, Franz Wagner, hatte zuvor ein Einstiegsgehalt von 4000 Euro für Pflegefachkräfte gefordert. „Das wäre eine angemessene Entlohnung. Damit wäre der Pflegeberuf konkurrenzfähig mit anderen Berufsgruppen“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ (Samstagausgabe).
Pflegepool nur ein Teil der Lösung
Die Nachfrage nach Pflegekräften auf dem bayerischen Arbeitsmarkt sei ungebrochen, sagte denn auch der Leiter der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit, Ralf Holtzwart. „Wir sehen, dass der Bedarf an Pflegefachkräften bei weitem nicht gedeckt werden kann“, sagte er. Das bedeute langfristig noch deutlich höhere Investitionen.
Derzeit würden 2800 Menschen in Bayern von den Arbeitsagenturen zu Pflegekräften qualifiziert. Die Pflege habe aber in der Corona-Krise auch an Stellenwert gewonnen, die Pflegeschulen hätten einen Zulauf erfahren. Viele junge Menschen wollten etwas Sinnvolles leisten.
Bayern hat bereits einen Pflegepool gegründet, in dem Freiwillige – etwa aus dem Beruf ausgeschiedene Menschen – sich für spontane Einsätze registrieren können. Das Instrument funktioniere, es sei aber klar, dass es nicht ausreiche, sagte Minister Holetschek. Mehr als 3800 Freiwillige hätten sich bereits gemeldet. „Der Pool ist ein guter Aufschlag, aber im Kern noch nicht die Lösung“, sagte er.
Arbeiten aus der Pflege ausgliedern
Die Hilfe durch Pflegekräfte aus dem Ausland sei ebenfalls eine willkommene Ergänzung, könne aber nicht die tragende Säule sein, sagte Holtzwart. Die Anstrengungen müssten aus dem eigenen Land heraus kommen. „Die Pflege muss für die Menschen attraktiv sein.“
Dabei spiele neben der Bezahlung auch die Frage der Arbeitszeiten eine Rolle. So könnten etwa Schichtsysteme verbessert und attraktiver gemacht werden. Außerdem könnten Aufgaben aus der Pflege ausgegliedert werden, etwa Catering.
Einen zunehmenden Trend zur Akademisierung sehen sowohl der Minister als auch der Arbeitsmarktexperte skeptisch. „Ich weiß nicht, ob das dem Menschen im Bett tatsächlich hilft“, sagte Holtzwart. Es gehe darum, einen vernünftigen Mix zu finden zwischen der Pflege am Menschen und einem Berufsbild, das auch gewisse Aufstiegschancen beinhalte. (dpa/nös)Bayerns Pläne für eine Pflegereform
Holetscheks Ideen sehen ein „Drei-Säulen-Modell mit pflegerischer Vollkostenversicherung“ vor:
- Drei Budgets, gestaffelt nach Pflegegrad, für qualitätsgesicherte Leistungen (pflegerische Versorgung), geregelte Leistungen (Unterstützung im Alltag) und unreglementierte Leistungen (informelle Pflege).
- Kosten für Behandlungspflege sollen in voller Höhe von der SPV übernommen werden.
- Bei langen Pflegeverläufen (Pflegebedürftigkeit von Kindern, demenzielle Erkrankungen, nach Unfällen) soll die SPV nach einer bestimmten Zeit die Pflege und Betreuung vollständig bezahlen.
- Kosten für die Pflegeausbildung soll vollständig die SPV über einen Steuerzuschuss übernehmen.
- Verbindliche tarifliche Vergütung für alle Pflegekräfte.
- Steuerliche Begünstigung von Zuschlägen für Überstunden, Wochenendarbeit und Nachtarbeit.
- Möglichkeit der selbständigen Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten (z.B. bei der Schmerzbehandlung, der Behandlung von Menschen mit Demenz oder der Diabetesbehandlung).
- Primärqualifizierende Pflegestudiengänge sollen ausgebaut und ein gesetzlicher Anspruch auf eine Ausbildungsvergütung eingeführt werden.
- Entscheidungskompetenzen der Kommunen sollen gestärkt werden, bei drohender pflegerischer Unterversorgung sollen sie steuernd eingreifen können.
- Ambulante Versorgung und Kurzzeitpflege sollen ausgebaut werden.
- Pflegeleistungen sollen in Budgets unter dem Dach der SPV zusammengeführt werden, um Fehlanreize etwa durch Abrechnungsbetrug zu verhindern.