Kindesmissbrauch

Nationaler Pakt gegen sexualisierte Gewalt an Kindern gefordert

Rund 14.500 Fälle von Kindesmissbrauch haben Ermittlungsbehörden allein 2020 erfasst – die Dunkelziffer dürfte ungleich höher liegen. Politiker, Betroffene und Ärzte rufen dazu auf, mehr im Kampf gegen sexualisierte Gewalt zu tun.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Ein Kind kauert in der Decke, dunkle Schatten liegen an der Wand.

Ein breites Bündnis aus Vertretern von Politik, Wissenschaft, Ärzteschaft und Betroffenen fordert ein größeres Engagement im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch.

© Nicolas Armer / dpa

Berlin. Ein breites Bündnis aus Vertretern von Politik, Wissenschaft, Ärzteschaft und Betroffenen hat ein größeres Engagement im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch angemahnt. Es bedürfe einer „ganz klaren Anleitung, wie wir dieser widerlichen Gewalt begegnen können“, sagte Bundesjustiz- und -familienministerin Christine Lambrecht (SPD) am Mittwoch in Berlin.

Kindern und Jugendlichen werde mit sexueller Gewalt „unfassbares Leid“ angetan. Um ihr zu begegnen, brauche es „alle in der Gesellschaft“, erklärte Lambrecht. Es brauche einen „nationalen Pakt“ gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen.

Jeder Fall ein Fall zu viel

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, betonte: „Wir brauchen besseren Schutz und bessere Hilfe für Betroffene im Kampf gegen sexuelle Gewalt.“ Es gebe zwar einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass jeder Fall von Kindesmissbrauch „ein Fall zu viel sei“. Die Realität sei aber eine andere. „Wir haben leider zehntausendfaches Leid von Kindern und Jugendlichen durch sexualisierte Gewalt – und zwar mitten unter uns.“

Dies könne durch einen stärken politischen Willen und konsequenteres Handeln verhindert werden, sagte Rörig. Schutzmechanismen und Hilfen für Betroffene seien bereits auf den Weg gebracht worden. „Aber nicht bundesweit und flächendeckend, nicht ressortübergreifend und leider nur selten vernetzt.“

Berichtspflicht für Missbrauchsbeauftragten

Mit Blick auf den „ausufernden“ Anstieg sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Netz betonte Rörig, der nächste Bundestag und die kommende Bundesregierung sollten die Einsetzung einer Enquete-Kommission zum Thema sexuelle Gewalt im Netz beschließen. Zudem brauche es eine gesetzlich verankerte Berichtspflicht des Missbrauchsbeauftragten gegenüber Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat.

Anlass des Appells der beiden Politiker war die Vorstellung des Abschlussdokuments des „Nationalen Rats gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“. Die „Gemeinsame Verständigung“, die von 40 staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen getragen wird, enthält ein Handlungskatalog – unter anderem zu Schutzkonzepten in Schulen und Vereinen, zu kindgerechten Gerichtsverfahren bis hin zu speziellen Hilfen für Kinder und Jugendliche, die Menschenhändlern zum Opfer gefallen sind.

Kinderärzte setzen auf neues Gesetz

Der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen wurde von Rörig und Lambrechts Vorgängerin Franziska Giffey (SPD) Ende 2019 ins Leben gerufen. Vertreten im Rat ist auch der Berufsverband für Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).

Der BVKJ setzt im Kampf gegen Kindesmissbrauch vor allem auf Neuerungen im Kinder- und Jugendstärkungsgesetz. So müsse das Jugendamt künftig bei der Gefährdungseinschätzung des Kindeswohls den Kinder- und Jugendärzten eine Rückmeldung geben, wie in dem betreffenden Fall entschieden und weiter verfahren werde.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte bei einem Empfang der Mitglieder des Nationalen Rats, die Gesellschaft müsse sich Ausmaße und Dimensionen sexualisierte Gewalt bewusst machen. Mehr als 14.500 Fälle von Kindesmissbrauch hätten die Ermittlungsbehörden allein im vergangenen Jahr erfasst. Die Dunkelziffer liege aber sicherlich um ein Vielfaches höher.

Schätzungen gingen davon aus, dass in Deutschland eine Million junge Menschen leben, die sexueller Gewalt ausgesetzt seien oder waren, sagte Steinmeier. Die Corona-Pandemie habe noch einmal vor Augen geführt, „wie viele Mädchen und Jungen in ihrem eigenen Zuhause Gefährdungen ausgesetzt sind“.

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