TV-Kritik
Chance verpasst: Sender inszeniert Charité als Horror-Haus
stern investigativ hat als Praktikanten getarnte Journalistinnen in die Charité eingeschleust und daraus einen Beitrag gemacht. Der setzte allerdings mehr auf Effekte als auf Aufklärung. Schade!
Veröffentlicht:Berlin. Musik wie in den Szenen von Horrorthrillern kurz bevor das Monster auftritt, Comic-Ästhetik mit viel ins Bild laufender roter Farbe, vernebelte Gesichter, verzerrte Stimmen: Zwei Stunden, inklusive Werbung, quälte das Format „stern investigativ“ mit dem Beitrag „Ein krankes Haus. Inside Charité -Folge 1“ auf RTL am Donnerstagabend seine Zuschauerinnen und Zuschauer. Bildsprache als auch Tonspur waren so überzogen, dass das dem Ernst des Themas nicht gerecht wurde.
Die undercover arbeitenden Journalistinnen und Journalisten hatten sich Deutschlands bekanntestes Krankenhaus vorgenommen, die Berliner Charité. Ihre These: Ausgerechnet Deutschlands Vorzeigeklinik vernachlässige ihre Patienten auf Station und lasse die vorhandenen Ärztinnen und Ärzte stattdessen so viel wie möglich operieren. Die medizinische Betreuung der Kranken auf den Stationen liege unterdessen in den Händen der angehenden Ärztinnen und Ärzte im Praktischen Jahr, der PJler. Und die sollen dort handeln wie fertige Ärzte, Morphingabe an einen Sterbenden inklusive. Kaum zu glauben!
(Personal-) Probleme hat auch die Charité
Es wäre gar nicht verwunderlich, wenn der Anstoß für einen solchen Beitrag sogar aus den Reihen der PJler gekommen ist. Vor gut einem Jahr gingen die PJler der Charité für einen Protesttag auf die Straße. Einer der Hauptgründe dafür war die denkbar schlecht bis nicht vergütete Arbeit, mit der sie das Stammpersonal der Charité entlasten.
Die Fälle, die dargestellt wurden, zeigten auf, dass in der stationären Versorgung, sogar der der Charité, etwas schieflaufen kann. 138.000 voll- und teilstationäre Menschen behandelt die Charité im Jahr. Die Kritik der Filmemacher stützt sich auf wenige Fälle. Buchautor und Ärzte Zeitungs-Kolumnist Bernd Hontschik, den die Stern-Redaktion als Testimonial engagiert hatte, war das wohl bewusst. Er kommentierte immer genau den Filmschnipsel, den die Redaktion ihm vorlegte, hütete sich aber vor Verallgemeinerungen. Vergleichbar vorsichtig und gleichwohl kritisch äußerte sich auch die Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit Dr. Ruth Hecker.
Kein Interview möglich?
Neun Monate Recherche habe man in diesen Beitrag investiert, raunen die Sprecherinnen mehrmals. Herausgekommen ist dafür zu wenig. Dass es dem Team nicht gelungen sein soll, den Vorstandsvorsitzenden der Charité Professor Heyo Kroemer für ein Interview zu gewinnen, mag man kaum glauben.
117 Minuten mussten die Zuschauer über sich ergehen lassen, bis der Bundesgesundheitsminister zu Wort kam. Karl Lauterbach trug kurzerhand die Prämisse seiner Krankenhausreform vor: Die Mehrheit der Patientinnen und Patienten könne nicht optimal versorgt werden. Grund: Ärztemangel. Geld sei da, aber in den Kliniken Deutschlands werde zu wenig effizient gearbeitet.
Überdramatische Inszenierung
In die Personalangelegenheiten der Charité könne er sich jedoch nicht einmischen, so Lauterbach. Dass das schwer nach Filz unter Ärztekollegen aussehen könnte, versucht stern investigativ dann mit einem Selfie von Lauterbach und Kroemer zumindest ein bisschen zu suggerieren.
Ein Beitrag in dieser Länge hätte - gerne auch am Beispiel der PJler der Charité - dazu dienen können, der Öffentlichkeit näher zu bringen, wie das System funktioniert und unter welchen Problemen es tatsächlich leidet. Diese Chance wurde nicht zuletzt mit der überdramatischen Inszenierung des Themas vertan. (af)