„Aktionstag gegen den Schmerz“
Coronavirus tut auch der Schmerzversorgung weh
Die Coronavirus-Pandemie verschärft die Versorgungssituation von Schmerzpatienten weiter, beklagen Ärzte und Betroffene am „Aktionstag gegen den Schmerz“.
Veröffentlicht:Berlin. Ärzte, Pflegekräfte und Betroffene beklagen gravierende Mängel in der Schmerzversorgung. Wegen der Coronavirus-Pandemie habe sich die Situation weiter verschlechtert, kritisierte die Präsidentin der Deutschen Schmerzgesellschaft, Professor Claudia Sommer, bei einer Online-Pressekonferenz aus Anlass des diesjährigen „Aktionstags gegen den Schmerz“ am Dienstag.
Viele „notwendige“ Sprechstunden und Therapiegruppen für Schmerzpatienten seien wegen der Coronavirus-Pandemie ausgefallen, berichtete Sommer. Kliniken müssten Schmerzambulanzen daher rasch wieder öffnen und Therapieprogramme wieder anbieten. „Es darf nicht länger sein, dass Schmerzpatienten als Kollateralschaden der COVID-19-Bekämpfung allein gelassen werden.“ Schmerzbehandlung sei ein Patientenrecht.
Der Aktionstag Schmerz soll Einblicke in Therapiemöglichkeiten geben. An der Aktion beteiligen sich in diesem Jahr 150 Krankenhäuser und weitere Einrichtungen. Sie bieten neben allgemeinen Informationen auch Arzt-Patienten-Gespräche.
Defizite auch ohne Corona
Der Geschäftsführer der Schmerzgesellschaft, Thomas Isenberg, sagte, die Schmerzversorgung in Deutschland weise unabhängig von COVID-19 Defizite auf. Viele Patienten irrten jahrelang im Dschungel des Gesundheitswesens umher, bevor ihnen geholfen werde. Isenberg sprach von einem unhaltbaren Zustand.
Die Politik müsse die Schmerzbehandlung auf die Agenda setzen und mit Sofortmaßnahmen gegensteuern, forderte die 1. Vorsitzende der Patientenorganisation SchmerzLOS, Heike Norda. Beratungsangebote via Telefon- und Videosprechstunden seien auszubauen und Fallzahlbegrenzungen „unbürokratisch“ auszusetzen.
Zu Schmerztherapeuten ausgebildete Ärzte dürften maximal 300 Patienten im Quartal behandeln, sagte Norda. Bei bundesweit etwas mehr als 1000 Schmerztherapeuten und mehrerer Millionen Schmerzpatienten sei schnell zu errechnen, dass die „genehmigte Fallzahl“ nicht ausreiche. „Da kommt nicht jeder dran.“
Die Wartezeiten lägen teilweise bei bis zu zwei Jahren. Hausärzte müssten sich stärker in Schmerztherapie schulen.
Multimodales Behandlungskonzept einführen
Auch der Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin (BVSD) mahnte „neue Systemstrukturen“ an. Mit einem multimodalen Behandlungskonzept ließe sich die Chronifizierung von Schmerzen verhindern und Betroffenen wirksam helfen, sagte BVSD-Vorsitzender Professor Joachim Nadstawek.
Laut BVSD leiden rund 3,9 Millionen Bundesbürger an „hochproblematischen“ Schmerzen. Die anhaltenden Schmerzen gingen mit schweren körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen einher, so der Verband.
Das mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erarbeitete Konzept für eine Spezialisierte Ambulante Schmerzversorgung (SASV) gehöre regelhaft angeboten, so Nadstawek. KBV und Kassen sollten sich dazu „endlich an einen Tisch setzen“.
Multimodale Versorgung überfällig
Im Rahmen der SASV sollen Haus- und Fachärzte, Psychotherapeuten, Physio-, Sport- und Ergotherapeuten sowie „Pain Nurses“ engmaschig zusammen. Ziel ist es, die Schmerzbelastung zu senken und besonders betroffenen Patienten eine Rückkehr ins Berufsleben zu ermöglichen.
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe wies auf die Rolle professionell Pflegender in der Schmerzbehandlung hin. „Pflegende sind ganz nah am Patienten“, sagte die Sprecherin der Fachgruppe „Pflegeexperten Schmerz“ im Verband, Ruth Boche. „Sie beraten, leiten an, geben Tipps für hilfreiche nicht medikamentöse Maßnahmen wie gezielte Bewegungs- und Entspannungsübungen, Wärme- oder Kälteanwendungen.“