Sterbehilfe

DGHO fordert Freiraum für Gewissensentscheidung

Keine Änderung der gesetzlichen Regelungen, aber Klarstellung im Berufsrecht: Mit diesen Forderungen hat sich der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) in die schwierige Debatte um assistierten Suizid eingeschaltet.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Ab dieser Woche stellen mehrere interfraktionelle Gruppen von Parlamentariern ihre Entwürfe für ein Gesetz zur Strafbarkeit der Förderung der Selbsttötung vor. Als auch nach eigener Einschätzung besonders betroffene Organisation hat sich nun die Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) zu Wort gemeldet und eine Versachlichung der Debatte gefordert.

Dabei können sich die DGHO-Vertreter auf die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage unter den Krebsärzten stützen. Daraus geht hervor, dass selbst todgeweihte Tumorpatienten sehr selten um ärztlichen Beistand bei der Selbsttötung bitten.

Eine Veränderung der gesetzlichen Regelungen hält der Vorstand der Fachgesellschaft deshalb für unnötig. "Bei der ärztlich assistierten Selbsttötung ist es gut, wenn der Staat in einer so individuellen und mit Not behafteten Situation Raum für Gewissensentscheidungen lässt", sagte der geschäftsführende Vorsitzende, Professor Mathias Freund, bei der Vorstellung der Umfrage unter DGHO-Mitgliedern am Montag in Berlin.

Breite Toleranzschwelle nötig

Den Ärzten solle an dieser Stelle Vertrauen entgegengebracht werden. Um die "schwere Abgrenzungsproblematik" zu vermeiden, müsse dieser Freiraum auch für die organisierte Hilfe gelten, so Freund. Kommerzielle Sterbehilfe empfinde er persönlich zwar als "unerträglich", das Thema benötige aber eine breite Toleranzschwelle.

Zentrales Ziel für Gesellschaft und müsse es sein, bei schwerster Erkrankung und in den Grenzbereichen des Lebens das Leiden wo immer möglich so zu lindern, dass Notsituationen nicht auftreten. "Hier muss das Gespräch zwischen Patient und Arzt mehr Wertschätzung erfahren und auch angemessen finanziert werden, statt es in Pauschalen zu versenken", sagte Freund.

Der Entwurf des Hospiz- und Palliativgesetzes von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sieht eine verpflichtende, individuelle Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase vor.

Gleichzeitig mahnt die DGHO an, den Paragraf 16, Satz 3 der Musterberufsordnung (MBO) der Bundesärztekammer zu streichen. Die Aussage, dass die Hilfe zur Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe sei, gehe zwar in die richtige Richtung, bedürfe aber der Klarstellung, weil sich aus dieser Formulierung auch der Wunsch nach einem Verbot herauslesen lasse.

Die uneinheitliche Umsetzung der MBO durch die Landesärztekammern führe zu einer unerträglichen Situation. "Persönliche Ablehnung und rechtliche oder ethische Verbote sind zu unterscheiden", ergänzte die Medizinethikerin der Universität Münster Professor Bettina Schöne-Seifert als unabhängige Gutachterin.

Mehrheit der Ärzte gegen Sterbehilfe

Auf eine ausgeprägte Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und dem im klinischen Alltag tatsächlich geäußerten Wunsch nach ärztlicher Assistenz bei der Selbsttötung wies Dr. Jan Schildmann von der Ruhr-Universität Bochum hin, der die Umfrage geleitet hatte. Von den 2812 Mitgliedern der DGHO haben sich demnach 775 beteiligt, davon 196 Ärztinnen. Unter den Antwortenden waren 283 Palliativmediziner.

13 Prozent sind in ihrem Berufsleben mindestens einmal um Medikamente zur Selbsttötung gebeten worden, 48 Prozent noch nie. 43 Prozent sind einmal danach gefragt worden, ob sie denn grundsätzlich Assistenz leisten würden.

Deutlich mehr als die Hälfte der befragten Ärzte (57 Prozent) sagte, sie würden auf keinen Fall eine Selbsttötung unterstützen. Immerhin 34 Prozent würden unter bestimmten Bedingungen die tödlichen Medikamente zur Verfügung stellen. Neun Prozent zeigt sich an dieser Stelle unentschieden.

Ein berufsrechtliches Verbot der ärztlich assistierten Suizids fand keine eindeutige Mehrheit. Lediglich 41 Prozent waren dafür. 36 Prozent sprachen sich dagegen aus, 23 Prozent sind in dieser Frage unentschieden.

Auch ohne gesetzliche Regelung sei kein Dammbruch zu erwarten, sagte der designierte Vorsitzende der DGHO, Professor Carsten Bokemeyer vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. Selbst auf der Palliativstation sprächen weniger als fünf Prozent der Patienten dieses Thema an.

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