Stella Kyriakides
Das Pflichtenheft der neuen Gesundheitskommissarin
Die neue EU-Kommission um Präsidentin Ursula von der Leyen hat sich viel vorgenommen. Auf die Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides wartet ein prall gefülltes Pflichtenheft: Es geht um Medikamente, Impfungen und die Qualität von Medizinprodukten.
Veröffentlicht:Brüssel. Stella Kyriakides hat alle Hände voll zu tun. Die neue EU-Gesundheitskommissarin gehört zwar nicht zu den Mitgliedern des neuen „Teams von der Leyen“, die sich nach dem Amtsantritt sofort zu Wort meldeten.
Doch die frischgebackene deutsche Kommissionspräsidentin hat an alle Mitglieder ihrer Mannschaft einen unmissverständlichen Auftrag erteilt: Die Akzente und programmatischen Schwerpunkte sollen bereits in den ersten 100 Tagen sichtbar werden.
Das betrifft auch den Gesundheitsbereich, zugrunde gelegt nicht nur im „Mission Letter“, mit dem von der Leyen ihren Kommissaren konkrete Aufträge erteilt hat („Ich erwarte von Dir …“), sondern auch ein fast 60-seitiges Papier des zuständigen Parlamentsausschusses, der klar macht, dass „im Gesundheitsbereich Verbesserungen dringend nötig sind“.
Kampf gegen Krebs ein Schwerpunkt
Beides zusammengenommen ergibt die Schwerpunkte, die in den nun anstehenden fünf Jahren bearbeitet werden sollen. Dazu zählt der Kampf gegen den Krebs, aber eben auch der Schutz vor Epidemien und Krankheiten.
Schließlich, so heißt es in den Papieren, habe „Europa einige der höchsten Standards für die Tier- und Pflanzengesundheit sowie die erschwinglichsten, zugänglichsten und hochwertigsten Gesundheitssysteme“. Nunmehr gehe es darum, deren „Qualität und Nachhaltigkeit“ zu sichern.
Angesichts der jüngsten Berichte über Defizite bei der Arzneimittelversorgung soll Kyriakides dafür sorgen, dass der Bedarf der EU-Bürger „zu erschwinglichen Preisen“ gedeckt wird. Die Pharmaindustrie müsse „Weltführer“ und ein „Innovator und Wachstumsmotor“ bleiben.
Europäischer Gesundheitsdatenraum
Um die Forschung auszubauen, soll ein europäischer Gesundheitsdatenraum entstehen, in dem die notwendigen Informationen ausgetauscht und genutzt werden dürfen. Dabei muss sichergestellt sein, heißt es weiter, dass die Menschen die Kontrolle über ihre persönlichen Daten behalten.
Und dann sind da noch die vielen Themen, bei denen Kyriakides mit Kollegen anderer Ressorts eng zusammenarbeiten muss. Das beginnt bei den gesundheitlichen Folgen der Luftverunreinigung und der CO2-Belastung der Atmosphäre. Und es geht weiter über gesunde Lebensmittel.
„Ich möchte, dass Sie eine neue Strategie ‚Farm to Fork‘ für nachhaltige Lebensmittel entwickeln“, schrieb die Kommissionspräsidentin Kyriakides ins Aufgabenbuch. Hier wird Zusammenarbeit mit dem Agrarkommissar wichtig.
Beipackzettel sollen verständlicher werden
Verbraucherinformationen müssten deutlich transparenter, verständlicher und besser werden. Das betreffe Beipackzettel ebenso wie die Verfolgbarkeit landwirtschaftlicher Produkte vom Hersteller bis zum Kunden. Bei diesem Punkt geht es der Kommission vor allem darum, die europäischen Standards auch für Zulieferungen aus Nicht-EU-Staaten durchzusetzen.
Ein weiteres Thema ist der Pflanzenschutz. Am Freitag beraten in Brüssel die Vertreter der Mitgliedstaaten über die Frage, ob das Insektizid Chlorpyrifos verboten werden soll, nachdem neue Studien erhebliche Gefahren für die Entwicklung der Gehirne von Kindern im Mutterleib belegt hatten. Der Wirkstoff wird von Landwirten im Süden der Gemeinschaft zum Schutz von Zitrusfrüchten benutzt.
Während die Anwendung in Deutschland verboten ist, wurde er in 20 anderen EU-Staaten freigegeben. Die Zulassung läuft Ende Januar 2020 aus. Für die neue Gesundheitskommissarin ein erster Test dafür, wie ernst sie es mit ihren Versprechungen meint. Denn über den europäischen Binnenmarkt für Agrar-Produkte landen belastete Mandarinen, Orangen oder Grapefruit auch auf den deutschen Tellern.
Abstimmung mit EU-Parlament
Kyriakides braucht für ihre Pläne das Europäische Parlament. Die Abgeordneten haben aber eigene Vorstellungen. Tiemo Woelken, Europa-Abgeordneter und Gesundheitspolitiker der sozialdemokratischen Fraktion, gegenüber dieser Zeitung: „Die Qualität von Medizinprodukten muss weiter verbessert werden, digitale Gesundheitslösungen dürfen nicht zur Datenschleuder verkommen, die Bekämpfung der Antibiotika-Resistenzen muss vorangehen und die Möglichkeit, sich grenzüberschreitend im EU-Ausland behandeln zu lassen, muss zur Regel werden.“
Er selbst nennt den Abschluss der Verhandlungen zur Bewertung von Gesundheitstechnologien (HTA) als seinen Schwerpunkt: „Das ist wichtig, weil sich die Bürger darauf verlassen müssen, dass der neu auf den Markt gebrachte Blutdrucksenker oder das Hüftgelenk der nächsten Generation höchsten Standards genügen und einen wirklichen Mehrwert gegenüber älteren Modellen bieten muss.“
In Brüssel wird darauf hingewiesen, dass in allen Umfragen, die das Europäische Amt für Statistik (Eurostat) vorgenommen hat, Gesundheitsfragen stets an der Spitze der Themen standen, deren Lösung die Bürger von der EU erwarten. Hinzu komme, dass trotz steigender Lebenserwartung die Europäer „im Durchschnitt zwischen einem Viertel und einem Fünftel ihres Lebens mit einer krankheitsbedingten Einschränkung“ verbringen.
Und: „Im Jahr 2013 starben in der EU mehr als 1,2 Millionen Menschen an Krankheiten und Verletzungen, die hätten vermieden werden können“. Kyriakides soll nun die ehrgeizige Aufgabe übernehmen, diese Zahlen spürbar zu verbessern.