Adipositas

Das dicke Problem

Adipositas ist nicht eine Krankheit, sondern mehrere - und immer mehr Menschen leiden darunter. Beunruhigend: Nur selten schlagen Therapien an. Daran sollen Ärzte sogar Mitschuld haben.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Familie im Glück: Rot und dick.

Familie im Glück: Rot und dick.

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BERLIN. Zu viel Fett um die Hüfte gilt in der Regel nicht als Krankheit. Unumstritten ist aber, dass Übergewicht und Adipositas oft Schrittmacher chronischer Krankheiten sein können.

Diabetes, die Koronare Herzkrankheit, aber auch die Demenzen gelten heute als Volkskrankheiten, die überdurchschnittlich hohe Kosten verursachen.

Rund 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen in Deutschland - mit dem Schwerpunkt in sozial schwachen Schichten - gelten als übergewichtig oder adipös, hat das Robert-Koch-Institut im Jahr 2011 ermittelt.

Rund 16 Millionen Übergewichtige in Deutschland

Das heißt, ihr Body-Mass-Index liegt jenseits des kritischen Wertes von 25.

Rund 16 Millionen Menschen in Deutschland seien sind stark übergewichtig, schätzt das Netzwerk aus Ärzten und Sozialwissenschaftlern, Tendenz steigend. Dies koste das Gesundheitswesen um die 13 Milliarden Euro im Jahr.

Die Barmer GEK verzeichnete 2011 unter ihren Versicherten nur rund 1200 Klinikeinweisungen wegen extremer Fettleibigkeit, aber mehr als 100.000 Einweisungen wegen der Begleitdiagnosen von starkem Übergewicht.

Den Kampf gegen überflüssiges Körperfett aufzunehmen, sehen Fachleute daher als geeigneten Ansatz, die ganze Gesellschaft gesünder zu machen. Dies ist bereits in mehrere Präventionsprogrammen wie "gesundheitsziele.de" und "In Form" eingeflossen.

Wichtig im Kampf gegen Adipositas ist die Prävention. Sie solle nicht nur dazu dienen, dem Gesundheitswesen Kosten einzusparen, sagte der Präventionsleiter der Barmer GEK, Dr. Rüdiger Meierjürgen, in Berlin.

Prävention könne soziale Ungleichheiten abbauen helfen und mehr Arbeitsplätze schaffen, sagte Meierjürgen bei einer Veranstaltung des Kompetenznetzwerkes Adipositas am Donnerstag in Berlin.

Eines der konkreteren Gesundheitsziele in der noch für diesen Herbst angekündigten Nationalen Präventionsstrategie der Bundesregierung soll sein, den Trend zu stoppen.

Bis zum Jahr 2020 soll es mindestens zehn Prozent weniger dicke Deutsche geben, fordern zumindest namhafte Unionspolitiker.

Der Kampf gegen die Kilos beginnt schon im Mutterleib

Das Spektrum politischer Optionen, dieses Ziel zu erreichen, reicht vom Abbau der Limonadenautomaten in Kitas und Schulen bis zu "Fettsteuern" auf Burger und Chips.

Doch die Fachleute sprachen sich eher für finanzielle Anreize aus. So könnten die Kassen Abnehmkurse für die Versicherten bezahlen, die Erfolge nachweisen könnten.

Betont wurde auch, dass nicht jeder wegen eines ungesunden Lebensstils dick werde. "Rund 50 Prozent des Körpergewichts sind genetisch terminiert", sagte Anke Hinney von der Uni Duisburg-Essen.

Noch verstehe die Forschung aber nicht genau, wie die Biologie funktioniere und wie sich daraus Therapieoptionen schöpfen ließen.

Auch heute schon haben Ärzte die Möglichkeit, aktiv Adipositas-Prävention zu betreiben - zum Beispiel bei Schwangeren.

Ein hoher Blutzuckerspiegel der Mutter präge den Stoffwechsel des Fötus, berichtete der Essener Humangenetiker Professor Bernhard Horsthemke. Das Kind laufe Gefahr, früh dick und zuckerkrank zu werden.

"Es gibt kaum ein Organ, das nicht unter der Adipositas leidet", ergänzte der Ernährungsmediziner Professor Hans Hauner. Sie sei nicht eine Krankheit, sondern mehrere.

Experten: Ärzte nicht ganz unschuldig

Patienten sollten daher von ihren Ärzten mehr fordern als nur das Feststellen eines zu hohen Body-Mass-Indexes, sondern auch den Ausschluss weiterer Risikofaktoren.

Allerdings gehen Betroffene eher ungern zum Arzt, auch nicht zur Vorsorge. Häufiger als andere Patienten sagen sie Termine ab. Dies haben Untersuchungen der Leipziger Verhaltensmedizinerin Anja Hilbert ergeben.

Die Ärzte selbst seien daran nicht ganz unschuldig. In Befragungen sprächen sie davon, sich vor den extrem dicken Patienten zu ekeln, unterstellten ihnen mangelnde Körperpflege.

Ein weiteres Ergebnis von Hilbert: Ärzte widmeten Adipösen weniger Behandlungszeit und auch weniger Therapie.

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