Deutsche Rentenversicherung
Datennebel um Reha-bedürftige Long-COVID-Patienten lichtet sich langsam
Bisher überwiegt bei Long-COVID-Patienten anekdotische Evidenz in Sachen Rehabilitationsbedarf. Erfahrungen und neue Zahlen der Deutschen Rentenversicherung lassen den Versorgungsbedarf erahnen.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Wie viele Menschen mit Long-COVID-Symptomen eine Rehabilitation benötigen, bleibt einstweilen schwer abschätzbar.
Die Daten in Studien variieren nahezu absurd groß zwischen zehn und 87 Prozent aller mit dem Coronavirus Infizierten, sagte Dr. Susanne Weinbrenner, Leitende Ärztin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, bei einer Presseveranstaltung des Rentenversicherers.
Erschwert werde die Abschätzung dadurch, dass es bislang nicht eine allgemein anerkannte einheitliche Bezeichnung für dieses Erkrankungsbild gibt. In der ICD-10-Klassifikation wird der „Post-COVID-19-Zustand“ unter „U09.9!“ geführt.
Angesichts der fehlenden Festlegung sei bisher unklar, welche und wie viele Symptome zu welchem Zeitpunkt vorliegen müssen, um von „Long-COVID“ reden zu können, so Weinbrenner. Verkompliziert werde die Situation durch eine sehr heterogene Studienlage, bei der unterschiedliche Populationen, Messzeitpunkte und Fallzahlen zu Grunde gelegt würden.
Bisher überschaubare Zahl an Reha-Fällen
Bislang sei die Zahl der Reha-Fälle noch überschaubar: Diese folgten mit Zeitverzug der Zahl der COVID-19-Erkrankten. So nahm die Zahl der Anträge auf eine Reha ab September 2020 sprunghaft zu – von etwa 130 im Oktober auf etwa 450 im Dezember.
Professor Volker Köllner vom Reha-Zentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung Bund in Teltow, drang darauf, genau hinzusehen, welche COVID-19-Patienten in Studien eingeschlossen wurden. Denn es seien vor allem Schwererkrankte untersucht worden, deren Genesungsprozess nach einem stationären Aufenthalt insbesondere von Unikliniken verfolgt wurde, so Köllner.
Was dagegen bisher fehle, seien bevölkerungsbezogene Erhebungen. Daher kann er nur vermuten, dass der Anteil Reha-bedürftiger Patienten nach einer COVID-19-Erkrankung bei fünf bis 15 Prozent liegen könnte. „In dieser Range wird es sich abspielen.“
„Wir werden kein Volk von Zombies“
Dagegen lasse sich auf der Basis der aktuellen Studienlage sagen, dass vermutlich mehr als 90 Prozent der „leicht betroffenen Patienten“ sich binnen drei Monaten erholen wird, und zwar ohne Langzeitfolgen. „Wir brauchen keine Angst haben, dass Long-COVID die Deutschen in ein Volk von Zombies verwandelt“, so Köllner.
Dagegen sei wahrscheinlich jeder vierte COVID-19-Patient, der im Krankenhaus beatmet werden musste, psychisch stark belastet und habe entsprechenden Therapie- und Reha-Bedarf.
Köllner, der die Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité leitet, bezeichnete es als „wahrscheinlich, dass die COVID-19-Infektion häufiger zu anhaltenden Folgesymptomen führt als andere Infektionen“.
Rehabilitation im Hinblick auf Long-COVID bezeichnete Köllner als „Learning by doing“. Er sprach sich dafür aus, diese Gruppe der Reha-Patienten gesondert in einem COVID-Reha-Register zu erfassen. Zudem plädierte er für die Bildung von COVID-Kompetenzzentren, um die Reha-Verläufe beobachten und anpassen zu können.
Gute Chancen mit etablierten Reha-Konzepten
Als dringend bezeichnete Köllner Studien, um überhaupt für Deutschland über gesicherte Prävalenzzahlen mit Blick auf Long-COVID zu verfügen. Auch müssten Ärzte die immunologischen und psychischen Mechanismen besser verstehen lernen, die bei Patienten zu einer Chronifizierung führen. Erst auf dieser Basis könnten dann maßgeschneiderte Konzepte der Rehabilitation von Long-COVID-Patienten entwickelt werden.
Er zeigte sich aber zuversichtlich, dass Reha-Konzepte, die bei Patienten mit anderen schweren Infektionen etabliert sind, auch im Falle von Long-COVID funktionieren.