25 Jahre ZEKO
Ethikkommissionen dürfen kein „Feigenblatt“ sein
Mit der Gründung ihrer Zentralen Ethikkommission 1995 war die Ärzteschaft Vorreiter für die Politik in ethischen Fragestellungen. Manche Beobachter sorgen sich aber um die Stellung in der Politik.
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Die Ethikkommission der Bundesärztekammer versteht sich als gesellschaftspolitisch orientierte Kommission, die - ähnlich wie der Deutsche Ethikrat – primär politikberatend tätig ist: ZEKO-Vorsitzender Professor Jochen Taupitz.
© Raphael Huenerfauth/photothek/picture alliance
Berlin. Die Bilanz kann sich sehen lassen: In 91 Plenumssitzungen hat die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer (ZEKO) 26 Stellungnahmen erarbeitet, allein sechs davon beschäftigten sich mit ethischen Fragestellungen in Bezug auf nicht einwilligungsfähige Patienten.
Hirn- und Stammzellforschung, Klonen und seit einigen Jahren der Umgang mit neuen Informationstechnologien sowie die Zusammenführung von Behandlungs-und Forschungsdaten prägten die Arbeit der ZEKO, so deren Vorsitzender Professor Jochen Taupitz bei einem – pandemiebedingt etwas verspäteten – Symposion aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der Kommission am Freitag in Berlin.
Die vom Vorstand der Bundesärztekammer berufenen 16 Mitglieder – neben Vertretern aus der Medizin auch Juristen, Ethiker und Sozialwissenschaftler – erarbeiten ihre Stellungnahmen unabhängig. Die ZEKO, so Taupitz, verstehe sich als gesellschaftspolitisch orientierte Kommission, die – ähnlich wie der Deutsche Ethikrat – primär politikberatend tätig sei.
Daten und KI sind die neuen Herausforderungen
Maßstäbe der ZEKO seien die im Grundgesetz kodifizierten Grundrechte auf Menschenwürde und Lebensschutz sowie die ethischen Standards der Ärzteschaft entsprechend der Deklaration von Helsinki. Basierend darauf leite die ZEKO auch die grundsätzlichen berufsrechtlichen Pflichten für die ärztliche Berufsausübung ab.
Als Herausforderungen für die Zukunft nannte Taupitz den Ausbau fachlicher Expertise für Zukunftsfragen, etwa für den Umgang mit Gesundheitsdaten für die Forschung und den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI), die Sicherung der Pluralität und die Schaffung einer ausgewogenen Gender-Verteilung.
Ähnlich wie der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Klaus Reinhardt, stellte die Vorsitzende der Europäischen Ethikkommission, Professor Christiane Woopen, fest: „Die Ethik boomt in der Pandemie, nicht zuletzt deshalb, weil sie alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst.“
Woopen widersprach nachdrücklich der häufig vertretenen Auffassung, die ethische Beurteilung neuer wissenschaftlicher oder technischer Entwicklungen komme im Regelfall zu spät. Tatsächlich seien Innovationen – beispielsweise die Eingriffsmöglichkeiten am Beginn des Lebens durch die Gentechnik – von Philosophen häufig in hypothetischen Szenarien vorausgedacht und analysiert worden.
Woopen kritisiert Inflationierung von Ethikkommissionen
Der Zweck von Ethikkommissionen sei es dabei nicht, Einvernehmen oder Konsens in der Beurteilung neuer Techniken herzustellen, sondern die Pluralität möglicher Bewertungen darzustellen und zu systematisieren. Nicht Mehrheitsbeschaffung für die Politik, sondern die Ermöglichung eigenständiger und verständiger Meinungsbildung sei der Zweck dieser Kommissionen.
Als schädlich bewertete Woopen die Inflationierung von Ethikkommissionen, die nur noch eine Feigenblattfunktion bei Genehmigungsprozessen – etwa für klinische Studien in der Arzneimittelforschung – übernehmen. Woopen: „Ethik ist keine Genehmigungsdisziplin.“
Als zukünftige Herausforderungen nannte Woopen:
- eine Grundausbildung der Mitglieder von Ethikkommissionen insbesondere hinsichtlich naturwissenschaftlicher Methoden, um die Rationalität des interdisziplinären Diskurses zu stärken,
- mehr Partizipation der Öffentlichkeit, beispielsweise durch Stakeholder-Dialoge,
- ein verpflichtendes Feedback der Politik zu Kommissionsvoten insbesondere im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren und
- eine stärkere globale Vernetzung der Ethikkommissionen und deren systematische Einbindung bei technologischen Neuentwicklungen und der Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen.