Arztreport
Jeder dritte Patient äußert Kritik an seiner Psychotherapie
Die Psychotherapeuten haben seit der Reform der Psychotherapeutenrichtlinie mehr zu tun. Die Nachfrager sind aber nur bedingt mit der Leistung zufrieden.
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Ein Kritikpunkt: Zu lange Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz.
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Berlin. Die Wartezeiten auf eine psychotherapeutische Behandlung sind mit der reformierten Psychotherapie-Richtlinie aus 2017 kürzer geworden. Nach wie vor muss aber jeder zehnte Antragsteller mehr als drei Monate auf einen Therapieplatz warten. Die Barmer als zweitgrößte Krankenkasse in Deutschland fordert nun eine stärkere Gewichtung von Gruppentherapien in der Versorgung.
„Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind nach wie vor zu lang, zumal sich psychische Probleme chronifizieren können“, sagte Barmer-Chef Professor Christoph Straub am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung des aktuellen Barmer Arztreports.
Die Gruppentherapie spiele in der Versorgung eine deutlich untergewichtete Rolle. 94,4 Prozent aller Therapien sind Einzeltherapien, hat die Hinschau ergeben.
Die Ergebnisse der Therapien fallen aus Sicht der Patienten durchwachsen aus. Ein Drittel der für den Arztreport Befragten war mit dem Resultat unzufrieden. Die Therapeuten sollten zu Beginn einer Behandlung klar formulieren, was Patienten sich von einer Therapie erhoffen könnten, sagte Straub. „Irreführende Heilungsversprechen seien laut Berufsordnung verboten“, sagte der Bundesvorsitzende der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV), Gebhard Hentschel, der „Ärzte Zeitung“.
Lob für psychotherapeutische Sprechstunde
Eine Erfolgsgeschichte verzeichnet dagegen die mit der Reform eingeführte psychotherapeutische Sprechstunde. Sie ist seither neun Millionen Mal abgerechnet worden. „Sie wird millionenfach frequentiert und findet bei den Betroffenen positiven Anklang“, sagte Professor Joachim Szecsenyi, Geschäftsführer des Göttinger aQua-Instituts, einer der Autoren des Reports.

Deutlich mehr Patienten nehmen seit 2009 eine Psychotherapie in Anspruch.
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Ausweislich der Untersuchung suchten 2018 rund 3,2 Millionen Menschen Hilfe bei Psychotherapeuten. Betreut wurden sie von mehr als 36.000 Ärzten und Therapeuten. Allein die Zahl der Kinder- und Jugendlichentherapeuten stieg im Betrachtungszeitraum in den Jahren 2009 bis 2018 von 2600 auf 5500. Knapp 30 Prozent der niedergelassenen Ärzte, überwiegend Hausärzte, trägt die Zusatzbezeichnung Psychotherapeut.
Das vermeintlich steigende Angebot kommt in der Versorgung nicht in gleichem Maße an. „Immer mehr Therapeuten reduzieren ihre Arbeitszeit“, stellte Szecsenyi fest. 2013 hätten noch 89 Prozent der Psychotherapeuten in Vollzeit gearbeitet. 2018 seien es nurmehr 73 Prozent gewesen.
DPtV kritisiert den Arztreport
Die DPtV nahm in einer ersten Reaktion auf den Report eine Gegenposition ein. „Aufgrund der vermehrten Teilung von Kassensitzen steigt der Anteil der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Psychotherapeuten“, sagte DPtV-Chef Hentschel. Der Barmer-Forderung nach einem verstärkten Einsatz von Gruppentherapien schloss sich Hentschel an. „Diese Therapieform wird bislang noch wenig eingesetzt“, sagte der DPtV-Chef.
Nach wie vor ist die regionale Verteilung der Psychotherapeuten unterschiedlich. In Großstädten kämen im Schnitt 69 Psychotherapeuten auf 100 .000 Einwohner, in eher dünn besiedelten Gegenden fänden sich dagegen nur 21 Therapeuten auf 100 .000 Bewohner.
Als Therapie schlug Szecsenyi eine „Landarztquote“ für Psychologiestudenten vor. Auch Videosprechstunden seien eine Option. Grundsätzlich entwickele die ländliche Bevölkerung einen „geringeren Nachfragedruck“, heißt es im Report.
Wirken die TSS steuernd?
Eine Steuerungswirkung durch die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen lässt sich aus der Befragung nicht herauslesen. Nicht einmal jeder zweite war mit dem vermittelten Termin und dem vorgeschlagenen Ort der Therapie einverstanden. Es gebe kein Anrecht der Patienten auf eine wohnortnahe psychotherapeutische Betreuung, sagte Szecsenyi.
Es sei nicht zumutbar, dass psychisch erkrankte Menschen so lange auf den Beginn einer Therapie warten müssen, kommentierte die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen im Bundestag, Maria Klein-Schmeink, die Zahlen.
„ÄrzteTag“-Podcast
Wenn Ärzte selbst krank werden – welche Hilfe gibt es?
Mehr ambulante Gruppentherapien, wie von der Barmer gefordert, seien für viele Patientinnen und Patienten sicherlich sinnvoll, aber kein Allheilmittel. Klein-Schmeink forderte eine Reform der Bedarfsplanung. Es bedürfe mehr Kassenzulassungen und mehr Angebote der ambulanten Krisenintervention.