Hilfe für Sterbewillige
Kontroversen über tödliche Arznei
Die FDP fordert Klarstellung für Sterbewillige. Die BÄK lehnt todbringende Arznei als letzten Ausweg ab, andere widersprechen.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Bundesärztekammer (BÄK) lehnt es ab, dass eine ärztliche Kommission darüber befindet, ob ein schwerstkranker Patient ein tödlich wirkendes Medikament erhält. Damit wendet sich die BÄK gegen einen Antrag der FDP im Bundestag, der am Mittwoch bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss erörtert wird.
Die FDP fordert darin eine rechtliche Klarstellung, dass „schwer und unheilbar Erkrankten“ ein Betäubungsmittel erwerben dürfen, um sich selbst zu töten. Das Bundesverwaltungsgericht hatt im März 2017 entschieden, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einem Sterbewilligen „in extremen Ausnahmesituationen“ nicht verwehren darf. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Behörde angewiesen, keine derartigen Genehmigungen zu erteilen.
Die BÄK argumentiert, menschliche Extremnotlagen könnten „nicht mit einem behördlichen Verwaltungsakt gelöst werden“. Es dürfe „keine Option ärztlichen Handelns sein (...) einem Patienten eine aktive Tötung zu empfehlen oder daran mitzuwirken. Durch die Bandbreite palliativmedizinischer Betreuung stehe Betroffenen in vergleichbaren Fällen „eine zumutbare Alternative für ein menschenwürdiges Sterben“ zur Verfügung, schreibt die BÄK.
Die FDP spricht sich für ein „Bescheidungsverfahren“ aus, bei dem in „angemessener Zeit“ durch Ärzte beurteilt werden soll, ob sie ein tödlich wirkendes Medikament erhalten. Dagegen wendet sich die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Es sei „nicht vertretbar“, dass medizinische Gutachter darüber befinden, „ab welchem Stadium eine schwerkranke Person sich für einen ‚berechtigten‘ Suizidwunsch qualifiziert“, schreibt die DGP. Als „Ultima ratio“ stehe Ärzten die palliative Sedierung zur Verfügung, um Patienten, bei denen eine ausreichende Linderung des Leidens nicht möglich ist, in einen „künstlichen Dauerschlaf“ zu versetzen, heißt es.
Ganz anderer Position ist Rechtsprofessor Reinhard Merkel von der Uni Hamburg. Der Emeritus widerspricht der Ansicht, „medizinische Versorgung“ könne keine tödlichen Handlungsziele verfolgen. Er verweist dazu auf den in Paragraf 218a StGB geregelten Schwangerschaftsabbruch oder ein Abortivmittel, dessen Vertrieb das Arzneimittelgesetz regelt.
Merkel wendet sich auch die Vorstellung, Palliativmedizin könne geeignete Antworten für „Menschen in auswegloser Sterbensnot“ bereithalten: „Leid ist nicht dasselbe wie Schmerz; es kann über dessen Präsens und Wirkung weit hinausreichen“, so Merkel. Eine De-facto-Pflicht zum Weiterleben gegen den eigenen Willen berühre – in den Worten des Bundesverfassungsgerichts – „den Kern der eigenverantwortlichen Selbstbestimmung“ Sterbender. Merkel wertet die im FDP-Antrag enthaltenen Argumente daher als „überzeugend“.
Spahn indes hat mit Blick auf die mehr als 100 Anträge, die beim BfArM für ein tödlich wirkendes Medikament gestellt wurden, auf die ausstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen. Die Karlsruher Richter müssen über mehrere Verfassungsklagen urteilen, die sich gegen das Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ richten.
Im November 2018 hatt der Sterbehilfeverein Dignitas Anzeige gegen Spahn erstattet und wirft ihm mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts „Meineid und Rechtsbeugung“ vor.