Kostenerstattung für AOK kein Wundermittel

Die schwarz-gelbe Koalition will die Kostenerstattung in der GKV ausbauen. Die Ärzte freut das. Die AOK dagegen fordert, Kostenerstattung in der GKV müsse bleiben, was sie bislang ist: "Eine seltene Randerscheinung."

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Direktkasse in der Praxis? Die Regierung will die Kostenerstattung in der GKV ausweiten. Ärzte hören das gerne, die AOK nicht.

Direktkasse in der Praxis? Die Regierung will die Kostenerstattung in der GKV ausweiten. Ärzte hören das gerne, die AOK nicht.

© carlosdelacalle / Shutterstock

NEURUPPIN. Pläne der Bundesregierung, in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verstärkt Kostenerstattung einzuführen, werden von Deutschlands größtem Kassenverband AOK klar abgelehnt. Das Vorhaben mute "reichlich antiquiert" an, sagte der Chef des AOK-Bundesverbandes, Dr. Herbert Reichelt, bei einem Presseseminar im brandenburgischen Neuruppin.

Selbst private Krankenversicherer böten ihren Mitgliedern mittlerweile mit speziellen Versicherungskarten die volle Kostenübernahme an. Privatversicherten erspare man so "die Mühen der Kostenerstattung". Deshalb sei es unverständlich, wenn jetzt GKV-Versicherte mit dem "ganzen teuren Abrechnungskram" belastet werden sollten, sagte Reichelt.

Die schwarz-gelbe Koalition will die Möglichkeiten zur Kostenerstattung in der GKV ausweiten, um Ärzten und Versicherten einen besseren Überblick über die Behandlungskosten zu verschaffen. Dem Versicherten dürften "durch die Wahl der Kostenerstattung" aber keine Mehrkosten entstehen, heißt es im Koalitionsvertrag.

Reichelt sagte, damit bereite die Koalition ein "neues Konfliktfeld" in der GKV vor. "Denn wenn dem Versicherten durch die Wahl der Kostenerstattung keine zusätzlichen Kosten entstehen sollen, wer soll diese zusätzlichen Kosten bezahlen, die durch das Kostenerstattungsverfahren tatsächlich unweigerlich entstehen?" Mehrkosten in Form von Zusatzbeiträgen bei Versicherten abzuladen, die sich nicht für Kostenerstattung entschließen, sei keine Lösung.

Reichelt widersprach auch der Behauptung, die Transparenz über die in Rechnung gestellten Arztkosten führe zur geringeren Inanspruchnahme von Leistungen. Dem sei nicht so, betonte Reichelt. "Sonst müsste ja die Ausgabendynamik im Bereich der PKV schon seit vielen Jahren unterhalb der GKV-Dynamik verlaufen - das Gegenteil ist gegenwärtig der Fall."

Umfragen zeigten zudem, dass das Gros der GKV-Versicherten ohnehin kein Interesse an Kostenerstattung habe. Derzeit würden sich etwa zwei Prozent aller GKV-Versicherten für Kostenerstattung entscheiden. Mehr Transparenz bei den Kosten lasse sich eher über Patientenquittungen schaffen, betonte Reichelt.

Der Chef des AOK-Aufsichtsrates Fritz Schösser sagte, hinter der Forderung nach Kostenerstattung stehe lediglich die "Hoffnung der Ärzte auf Mehreinnahmen". Ähnlich äußerte sich Dr. Stefan Etgeton vom Bundesverband der Verbraucherschützer. "Da wird eine Monstranz aufgebaut, die am Ende keiner anbetet - außer den Priestern." Der Chef des Bundesverbands Deutscher Internisten, Dr. Wolfgang Wesiack, hatte dagegen erklärt, die Kostenerstattung sei wichtig, um das Gesundheitssystem für Ärzte und Patienten transparenter zu machen. Voraussetzung dafür seien jedoch feste Preise für ärztliche Leistungen.

Lesen Sie dazu auch: AOK fordert echte Strukturreformen Nur Kostenerstattung sorgt für Transparenz VV-Vorsitzende drängen KBV zur Kostenerstattung KBV-Chef Köhler will Arztrechnung für alle Neuer Vorstoß zur Kostenerstattung in der GKV

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 13.09.201012:55 Uhr

Kruditäten?

Mit Verlaub, Herr Kollege Michael Kirsch, "si tacuisses, philosophus mansisses" [wenn Du geschwiegen hättest, wärest du wenigsten ein Philosoph geblieben] Übers. d. d. Verf. (Boethis, Römischer Philosoph, 480-525 p. c.).
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen, Dr. med Thomas G. Schätzler, FAfAM

Dr. Michael Kirsch 13.09.201011:41 Uhr

Welch krudes Durcheinander!

Transparenz über eine Patientenquittung im Sachleistungssystem zu erreichen ist ein absolut unsinniger Gedanke. Nicht nur, dass die Pat. diese Quittung gar nicht haben wollen, was sollte auch auf dieser stehen? Die erbrachten Leistungen fraglos, aber mit welcher Summe?
Die des EBM kann es nicht sein, da tatsächlich im Durchschnitt nur2/3 davon gezahlt werden. Doch nicht einmal diese reduzierte Zahl wäre angemessen, denn zum Quartalsende wird die Leistung nur noch mit wenigen Cent vergütet.

Dass die AOK keine wirkliche Transparenz möchte, kann ich gut nachvollziehen. Sie zahlt mit befreiender Wirkung eine Pauschale und welche oder gar wieviel Leistungen dafür erbracht werden, ist ihr gleichgültig. Die unvermeidliche Zunahme von Leistungen durch die Entwicklung der Medizin, demographische Entwicklungen und (von den Krankenkassen geförderte) Erwartungshaltung der Patienten haben allein die Ärzte auszubaden.

Der Punktwert beträgt ca. 3,5 Cent bei einem in den 1990er Jahren wirtschaftlich angemessenen Punktwert von 5,11 Cent. Selbst unter dieser Bedingung erbringe ich zwangsläufig ca. 30 - 40 meiner Leistungen unbezahlt (über das Budget hinaus).
Wer unter diesen Bedingungen als Arzt das Sachleistungssystem propagiert, muss sich fragen lassen, wie er davon profitiert oder was er sonst für Ziele verfolgt!

Die dem werten Kollege Schätzler aufgeführten Punkte 1, 2, 4 treffen zwar zu, haben mit der Entscheidung zwischen Sachleistungsprinzip und Kostenerstattung aber nichts zu tun. Gleiches gilt sinngemäß auch für die privaten Krankenversicherungen. Auch die Punkte 5 und 5 sind für die Entscheidung vollkommen unbeträchtlich, gelten unabhängig von der Art der Abrechnung mit den Krankenkassen.

Die gleiche Vergütung für gleiche Leistung ist ein schöner Gedanke. Doch gilt dies bereits jetzt nicht, denn in Abhängigkeit von dem zuerkannten Budget, den tatsächlich erbrachten Leistungen und den Bedingungen des jeweiligen Bundeslandes erhalten wir schon jeder eine unterschiedliche Vergütung für die gleiche Leistung. Die Kostenerstattung würde hier eher Klarheit und Einheitlichkeit schaffen.

Wieso interessiert sich ein Arzt für die Kosten der Krankenkassen? Die Privatversicherungen haben einen deutlich geringeren Kostensatz, wenn man Werbung und Abschlusskosten für die Verträge abzieht.

Das SGB V ist nach Ansicht von Rechtsexperten tatsächlich in Teilbereichen verfassungswidrig, wird aber wegen des höheren Rechtsgutes der Finanzierung des Gesundheitswesens offiziell nie diesbezüglich kritisiert.
Doch ist ein "Regress" wegen verschriebener Medikamente de facto eine Enteignung des Arztes im Interesse der Finanzen der Krankenkassen.

Wieso also sollte eine Veränderung des SGB V also verfassungswidrig sein?

Die Argumentation des AOK-Mitarbeiters kann ich verstehen. Die des Kollegen absolut nicht!

Dr. Thomas Georg Schätzler 13.09.201007:34 Uhr

AOK und BVdV gegen die Kostenerstattung in der GKV!

Auch wenn ich als hausärztlicher Allgemeinmediziner sicher kein "natürlicher Verbündeter" der AOK und des Bundesverbands der Verbraucherschützer (BVdV) bin, ist die Kostenerstattung doch nur eine von vielen "Reformsäuen", die täglich durchs FDP-CDU-CSU-Dorf getrieben werden. Die Kostenerstattung kann nicht funktionieren:

1. Weil unsere GKV-Versicherten als Patienten bereits in Vorleistung getreten sind. Sie haben die Behandlungskosten in Klinik und Praxis bereits durch Ihre GKV-Beiträge vorfinanziert (Sachleistungsprinzip).

2. Wer Ärzte häufiger und krankheitsbedingt intensiver in Anspruch nimmt, bekommt die Mehrkosten durch die Beiträge der gesunden GKV-Versicherten ausgeglichen (Solidaritätsprinzip).

3. Wenn die GKV-Beiträge bei Rentnern und Niedriglohngruppen nicht
ausreichen bzw. bei beitragsfrei gestellten Familienmitgliedern oder aus anderen Gründen Zahlungsunfähigen gar nicht fließen, müssen Staat und Steuerzahler einspringen, um Defizite auszugleichen (Subsidiaritätsprinzip).

4. Wer GKV-Beiträge ordnungsgemäß bisher bezahlt hat und weiter bezahlen wird, genießt einen durch unsere Verfassung verbrieften Vertrauensvorschuss und Bestandsschutz (Legalitätsprinzip).

5. Das Bundesverfassungsgericht akzeptiert Steuerungsmechanismen durch die Praxis- und Verordnungsblattgebühr bzw. angemessene Selbstbeteiligung bei stationärer Vollversorgung (Verhältnismäßigkeitsprinzip).

6. Arzthonorare, die für gleiche ärztliche Leistungen über das Sachleistungsprinzip, per KV über die GKV-Kassen bzw. den Gesundheitsfonds bezahlt werden, dürfen sich im Grundsatz nicht vom Zahlungsumfang der Kostenerstattung unterscheiden (Gleichheitsprinzip).

7. Eine Vorleistung durch GKV-Beiträge u n d zusätzliche Arztrechnungen, auch wenn sie dann erstattet werden, führen bei den gesetzlichen Krankenkassen zu einer explodierenden Bürokratie und bei den Patienten zu einem unvertretbaren Aufwand. Das bestehende Sozialgesetzbuch würde in verfassungswidriger Weise ausgehöhlt (Verfassungsmäßigkeitsprinzip).

Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM in Dortmund

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