Sterbehilfegesetz auf dem Prüfstand

Lebensschutz oder ein Bremsklotz für die Palliativmedizin?

Seit über drei Jahren ist das Sterbehilfegesetz bereits in Kraft. Ende 2015 verabschiedet, blieb es bis heute umstritten. Nun steht das Gesetz auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Mehr als ein Jahr hatte der Bundestag über eine Neuregelung der Sterbehilfe gerungen.

Mehr als ein Jahr hatte der Bundestag über eine Neuregelung der Sterbehilfe gerungen.

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KARLSRUHE. Gleich zwei Tage (16.4. und 17.4.) nehmen sich die Karlsruher Richter für ihre mündliche Verhandlung zur Sterbehilfe Zeit – konkret für den neuen Paragrafen 217 des Strafgesetzbuchs. Danach macht sich strafbar, „wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt“.

Das Strafmaß reicht von Geldstrafen bis zu drei Jahren Haft.

Lange Debatte im Bundestag

  • Mehr als ein Jahr hatte der Bundestag über eine Neuregelung der Sterbehilfe gerungen. Überraschend klar setzte sich im November 2015 dann ein interfraktioneller Antrag durch, mit dem Sterbehilfevereine an die Kette gelegt werden sollten.
  • Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung schafft seit Dezember 2015 im Paragrafen 217 Strafgesetzbuch einen neuen Straftatbestand.
  • Die Begründung: Die Menschen sollen sich nicht an organisierte Formen des Suizids gewöhnen, hieß es damals im Gesetzentwurf.

Dabei zielt „geschäftsmäßig“ nicht auf eine Gewinnabsicht. Das Wort ist vielmehr eine Abgrenzung zur Einzelhandlung aus persönlicher Betroffenheit. Wer also im Einzelfall einem Nahen Angehörigen oder Freund bei der Selbsttötung hilft, bleibt straffrei.

Wer dies dagegen regelmäßig oder wiederkehrend tut oder auch nur tun will, macht sich strafbar – selbst dann, wenn dies aus rein ideellen Gründen geschieht.

Von der Strafandrohung sind zwar zuerst Vereine wie „Sterbehilfe Deutschland“ und „Dignitas“ betroffen. Aber auch Ärzte haben Justitias Schwert im Nacken.

Neben Patienten sind daher auch Vereine und Ärzte vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Dabei machen die Vereine geltend, dass sie nach dem neuen Paragrafen gar nicht mehr für ihre Mitglieder tätig werden können, ohne sich einem Strafrisiko auszusetzen.

Klagende Patienten gehen davon aus, dass sie wegen einer Krankheit in absehbarer Zeit selbstbestimmt sterben wollen. Ihr Recht darauf leiten sie aus ihrer Menschenwürde und Handlungsfreiheit ab.

Die Strafandrohung greife in dieses Recht ein, weil dies sie im Ergebnis daran hindere, für ihren Wunsch die Hilfe fremder Dritter in Anspruch zu nehmen.

Ärzte sehen Berufsfreiheit bedroht

Für Palliativmediziner ist die mit dem Sterbehilfegesetz geschaffene Gemengelage besonders vielschichtig. Sieben Ärzte sind unter den 13 Beschwerdeführern. Sie sehen ihre Berufsfreiheit von einer Vorschrift bedroht, die eigentlich auf die Sterbehilfevereine abziele.

Unter den Beschwerdeführern ist der Wittener Arzt Matthias Thöns. Durch gute Beratung und gute Behandlung könnten Palliativmediziner ihren Patienten den Todeswunsch meist nehmen. Doch dies gelinge nicht immer.

Dann allerdings rette auch die Verweigerung des Rezepts kein Leben. Die Patienten würden in den „harten Suizid“ getrieben. Sie schnitten sich die Pulsadern auf oder sprängen aus dem Fenster eines oberen Stockwerks.

Für seine Verfassungsbeschwerde hat Thöns den bekannten Münchener Rechtsanwalt Wolfgang Putz an seiner Seite, dessen Kanzlei regelmäßig für das Selbstbestimmungsrecht von Patienten streitet.

Der Anwalt betont, dass gerade auch Fragen über das Ende des Lebens eine vertrauensvolle Arzt- Patienten-Beziehung erfordern. „Nur ein Patient, der nicht die Zwangseinweisung wegen Suizidalität fürchten muss, wird sich seinem Arzt öffnen.“ Der neue Paragraf 217 Strafgesetzbuch erweise sich damit geradezu als „Palliativmedizin-Erschwerungs-Gesetz“, schreibt Putz. Die Strafvorschrift verfehle so ihr Ziel.

„Es gibt nicht nur ein Recht auf Leben“

Diese Kritik teilt auch der SPD-Gesundheitspolitiker Professor Karl Lauterbach. „Das Gesetz hat kein Problem gelöst. Die Ärzte ziehen sich zurück, und schwerstkranke Patienten sind mehr alleingelassen als jemals zuvor“, sagte Lauterbach schon 2017 dem „Spiegel“.

Und manchmal kann auch Palliativmedizin nicht mehr helfen. Dieses Problem bildet den Schwerpunkt der Beschwerde des Berliner Arztes und Hospizgründers Michael de Ridder.

Auch er wird von Putz vertreten, der betont, „dass Palliativmedizin und ärztliche Suizidassistenz sich grundsätzlich nicht wechselseitig ausschließen“. Ridder schrieb in der Wochenzeitung „Die Zeit“: „Es gibt nicht nur ein Recht auf Leben, sondern auch ein Recht auf ein selbstverantwortetes Sterben.“

Das Bundesverfassungsgericht will nun prüfen, ob sich die Eingriffe in die Grundrechte betroffener Patienten aber auch in die Berufsfreiheit der Ärzte durch das übergeordnete Argument des Lebensschutzes rechtfertigen lässt. Dabei steht auch die Frage im Raum, inwieweit durch ein offeneres Gesetz ein „suizidfreundliches Klima“ entstehen könnte.

Im Eilverfahren reichten Ende 2015 die Argumente der Beschwerdeführer nicht aus, um die Strafvorschrift vorläufig außer Kraft zu setzen. Denn der Ausgang des Verfahrens, so damals die Karlsruher Richter, ist völlig offen.

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Kommentare
Cora Schulze 16.04.201915:40 Uhr

Recht auf selbstverantwortetes Sterben

Das es sich hierbei um ein schwieriges Thema handelt, ist sicherlich allen bewusst.
Bestimmte Fragen gehen mir in dem Zusammenhang immer wieder durch den Kopf.
Was ist mit selbstverantwortetem Sterben gemeint?
Bei welchen Personen(-gruppen) kann davon ausgegangen werden, dass sie hier selbstverantwortlich Sterben wollen/diese Entscheidung treffen können?
Welchen Personen(-gupppen) spreche ich das Recht ab selbstverantwortlich sterben zu dürfen und wie kann ich dies (vor mir und anderen) vertreten?
Wie soll mit dem Druck/der Erwartungshaltung umgegangen werden, der auf Betroffene, deren Zugehörige und Versorgern aus dem Gesundheitswesen aufgebaut wird, wenn dieses Recht eingeführt werden sollte.

Es ist für mich nachvollziehbar, wenn Personen, die sehr selbstbestimmt gelebt haben, dies auch in dieser Lebensphase einfordern wollen, aber eine mögliche Gesetzesänderung würde nicht nur für diese starken Mitglieder unserer Gesellschaft greifen, sondern auch für andere.

Einige Fragen zu einem komplexen und schwierigen Thema.

Dr. Thomas Georg Schätzler 16.04.201913:28 Uhr

Faktencheck?

Im Wortlaut:
"Strafgesetzbuch (StGB)
§ 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht."
https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__217.html

Da ist es nur eine Gratwanderung zum
"§ 216 Tötung auf Verlangen
(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
(2) Der Versuch ist strafbar."
https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__216.html

Wie ist es dann möglich, dass das Deutsche Ärzteblatt am 04.02.2014 berichtete: "Der Verein Sterbehilfe Deutschland (StHD) des früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch hat gestaffelte Beitragssätze eingeführt, die Mitgliedern unterschiedlich schnell Begleitung zur Selbsttötung gewähren. Einen entsprechenden Bericht der Tageszeitung Die Welt bestätigte der Verein in der Neufassung seiner Satzung auf der eigenen Internetseite. Diese wurde in zwei Mitgliederversammlungen im Januar beschlossen.

In den Statuten ist festgehalten, dass bei einem Mitgliedsbeitrag von jährlich 50 Euro eine Suizidbegleitung grundsätzlich nicht stattfindet. Für 200 Euro im Jahr wird sie nach drei Jahren Mitgliedschaft gewährt. Eine 2.000 Euro teure Mitgliedschaft verkürzt die Wartezeit laut Satzung auf ein Jahr. Bei Zahlung von 7.000 Euro entfällt auch diese Wartefrist. Der Verein bemühe sich dann, „die Voraussetzungen der ethischen Grundsätze besonders zügig zu klären“. (Zitat Ende).
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/57475/Sterbeverein-Hoeherer-Beitragssatz-fuer-schnelleren-Tod

Wie kommt es, dass der Verein Sterbehilfe Deutschland vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den neuen Paragrafen 217 StGB vorgehen kann (Az. 2 BvR 2347/15), ohne dass gleichzeitig strafrechtliche Ermittlungen wegen Verstoßes gegen §§ 216 bzw. 217 StGB aufgenommen werden? Wird damit das Legalitätsprinzip nicht verletzt?

Der Bundestag hatte im November 2015 die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung beschlossen. Eine einstweilige Anordnung gegen das Gesetz zu erreichen, war in Karlsruhe gescheitert. Warum wird dann nicht strafrechtlich ermittelt? Während der Verein Sterbehilfe Deutschland wohl weiter geschäftsmäßig handelt, gilt für ihn das Strafrecht offenbar nicht?

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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