"Pille danach"
Levonorgestrel entzweit die Koalition
Die Regierung will an der Rezeptpflicht für Levonorgestrel festhalten und wirbt für das Gespräch beim Arzt. Opposition und SPD gehen auf Konfrontation: Sozialdemokrat Lauterbach kritisiert indirekt den "medizinischen Sachverstand" des Ministers - und spricht von Willkür.
Veröffentlicht:BERLIN. Das Bundesgesundheitsministerium will an der Verschreibungspflicht für das Notfallkontrazeptivum Levonorgestrel festhalten. "Wir wollen nicht auf die ärztliche Beratung der Betroffenen verzichten", sagte die parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU) am Donnerstagabend im Bundestag betont. Dies stärke die Frauen in ihrer Selbstbestimmung und gebe ihnen Sicherheit. Widmann-Mauz bekräftigte damit die Forderung von Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe (CDU), der sich zuletzt deutlich gegen den OTC-Switch ausgesprochen hatte.
Frauen würden viele Fragen lieber in einem vertraulichen Gespräch mit ihrem Arzt klären, sagte Widmann-Mauz. Es gehe der Union nicht darum, den Betroffenen das Medikament vorzuenthalten. Eine schnelle Verfügbarkeit sei sehr wichtig, aber die gesundheitlichen Risiken müssten auch im Blick gehalten werden.
Die etwa 400.000 Verschreibungen des Medikaments im vergangenen Jahr seien Beweis genug, dass das System gut mit der Herausforderung klar komme, Arzt und Patientin schnell zusammenzubringen. Die Fraktionen "Die Linke" und die Grünen hatten zuvor in ihren Anträgen gefordert, dass Apotheken die sogenannte "Pille danach" künftig auch ohne Rezept abgegeben können sollen. Deren Anträge wurden in den Gesundheitsausschuss des Bundestages verwiesen.
Der zuständige Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte sich Anfang des Jahres dafür ausgesprochen, die Rezeptpflicht aufzuheben.
Linken-Politikerin Birgit Wöllert kritisierte die Haltung der Bundesregierung scharf. Die Verschreibungspflicht für Levonorgestrel gehöre abgeschafft, betonte sie während der Bundestagsdebatte. Die Beratung müsse nicht von einem Arzt vorgenommen werden, ein Apotheker sei genauso kompetent. "Schließlich soll es das Medikament nicht am Kiosk oder im Supermarkt geben", betonte sie.
Auch Grünen-Politikerin Kordula Schulz-Asche äußerte ihr Unverständnis darüber, dass die Bundesregierung an der Rezeptpflicht festhalten wolle. "Wofür haben wir denn Sachverständige und Experten?", fragte sie mit Blick auf die BfArM-Empfehlung.
Auf Konfrontationskurs zur Union gingen auch die Sozialdemokraten. Der SPD-Politiker Karl Lauterbach betonte erneut, eine Beratung durch den Apotheker sei ausreichend. Nebenwirkungen seien äußerst selten und verliefen in der Regel sehr mild.
Das künstliche Gestagen ist sei seit Mitte der 1960er Jahre auf dem deutschen Markt erhältlich. Laut Lauterbach werde es in 79 Ländern rezeptfrei abgegeben. Der SPD-Politiker nannte das Präparat eines der sichersten auf dem Markt - "bei allem Respekt für den medizinischen Sachverstand des Gesundheitsministers und der parlamentarischen Staatssekretärin".
Die Zahl der Verschreibungen sage nichts darüber aus, wie viele Schwangerschaften tatsächlich verhindert worden seien. Die Haltung der Bundesregierung rügte Lauterbach als "willkürlich". Die Rezeptpflicht beizubehalten verliefe einzig nach dem Motto "ein bisschen Strafe muss sein".
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Professor Frank Ulrich Montgomery, hatte sich zuletzt deutlich gegen die OTC-Freigabe von Levonorgestrel ausgesprochen. Sexualaufklärung gehöre in die Hand von Ärzten und nicht etwa in Apotheken, forderte Montgomery. Die Beratung von Frauen in Notsituationen funktioniere nicht, "indem man eine Pille über den Tresen einer Apotheke schiebt". (sun)