Kommentar zur Corona-Lockdowns
Regierung bastelt an Präzisionsstrategie
Der Verlauf der Coronavirus-Pandemie verändert das strategische Denken der Regierung. Der komplette Lockdown wird von einer regionalen Reaktion abgelöst.
Veröffentlicht:Mit dem Abflachen der Infektionskurve steigt die Lernkurve bei den politisch Verantwortlichen. Bund und Länder diskutieren darüber, wie weiter mit dem neuartigen Coronavirus umgegangen werden soll und wie künftigen Epi- und Pandemien möglichst kleinräumig begegnet werden könnte.
Von weit aufgespannten Rettungsschirmen ist nicht mehr die Rede. Der Schrotschuss ist Geschichte. Jetzt werden die Maßnahmen „zielgenau“. Sie sollen am besten auf Kreisebene greifen, kreisweite Lockdowns eingeschlossen. Und die Landkreise sehen Möglichkeiten, sogar noch lokaler zu handeln.
Landkreistag fordert
Corona-Beschränkungen nicht mit dem Holzhammer
Spahn würde nicht alles noch mal so machen
Zielgenaues Handeln als Ziel ausgegeben hat auch der Gesundheitsminister. Jens Spahn hat erst in dieser Woche wieder deutlich gemacht, dass er die Krankenhäuser nicht noch einmal, wie im März geschehen, dazu auffordern würde, alle elektiven Operationen zu verschieben. Die Milliarden-Kosten der Pandemie für das Gesundheitswesen mögen dabei eine Rolle spielen.
Dass die Vollbremsung des Gesundheitswesens vielleicht einen Tick zu scharf ausgefallen ist, war tatsächlich aber schon früher in den Köpfen. Ende April hat Spahn einen Plan vorgelegt, der den Krankenhäusern ermöglichen sollte, schrittweise in die Regelversorgung zurückzukehren.
Dem Plan lässt sich entnehmen, dass das Ministerium für künftige Ausbrüche von einer parallelen Versorgung von Infizierten und Nichtinfizierten ausgeht. Und sei es im ganz schlimmen Ernstfall durch die Umwidmung einzelner Krankenhäuser in reine Pandemie-Zentren, während andere den Regelbetrieb weiter führen.
Paradox verhindert Durchblick
Zielgenau haben auch die Vertragsärzte ihre Praxen umorganisiert. Die ambulante Versorgung hat die Behandlungsstränge getrennt und damit die Risiken für den stationären Sektor minimiert.
Das Präventions-Paradox führt dazu, dass sich nicht ermitteln lassen wird, ob die Bundesregierung Mitte März übers Ziel hinausgeschossen ist, als sie den bundesweiten Lockdown verhängt hat. Tatsache ist, dass dort, wo Abstandsregeln und Maskengebote allzu frei ausgelegt werden oder wo Menschen unter fragwürdigen Bedingungen leben und arbeiten müssen, das Virus nach wie vor zuschlägt. Wenn Menschen aus Deutschland im Auslandsurlaub, auf „Malle“, Parties feiern, importieren sie Infektionsrisiken. Die Pandemie ist nicht vorbei, eine Aussage, die noch keine leere Floskel ist.
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