Hunderte Fachärzte fehlen

Rheuma-Versorgung ist gefährdet

„Mehr Rheumatologen braucht das Land!“ – diese Botschaft verhallt seit Jahren ungehört. Mit einer Kampagne soll sich das ändern, denn es fehlen bundesweit hunderte der Fachärzte. Druckmittel ist ein GBA-Beschluss von 2019.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Die Rheumatologie erscheint vielen jungen Ärzten perspektivlos.

Die Rheumatologie erscheint vielen jungen Ärzten perspektivlos.

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Berlin. Jetzt wird es wirklich ernst! – Das ist die Botschaft, die vom Deutschen Rheumatologiekongress 2020 ausgeht. Der ausgeprägte Mangel an Rheumatologen war – einmal mehr – Thema beim in diesem Jahr virtuellen Jahrestreffen der internistischen und orthopädischen Fachgesellschaften.

Dieser habe ein Ausmaß erreicht, das die medizinische Versorgung gefährde: 1,5 Millionen Menschen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen stehen nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) derzeit etwa 750 Rheumatologen gegenüber.

Nur 45 Facharztprüfungen pro Jahr

Über die wahrscheinliche Altersstruktur dieser Gruppe von 750 Spezialisten muss kein Wort verloren werden. In puncto Nachwuchs meldet die Fachgesellschaft, dass 40 bis 45 Ärztinnen und Ärzte pro Jahr ihre Facharztprüfung für internistische Rheumatologie ablegen – deutschlandweit!

Und davon gingen unter Umständen die Hälfte einer Teilzeitbeschäftigung nach, erklärte DGRh-Präsident Professor Hendrik Schulze-Koops aus München gegenüber der „Ärzte Zeitung“. „Mit dieser Ausbildungsaktivität werden wir nicht einmal den Status quo der rheumatologischen Versorgung in Deutschland sicherstellen können.“

Gebraucht würden insgesamt doppelt so viele Rheumatologen wie derzeit, sagte Schulze-Koops, konkret: mindestens 1350 Rheumatologen.

Bedarfsplanung als Hebel?

Soweit so bekannt. Weniger bekannt ist der Umstand, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) im Dezember 2019 in einer Anpassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie beschlossen hatte, dass bis 2024 zehn Prozent der internistischen KV-Sitze in Deutschland internistischen Rheumatologen vorbehalten werden sollen. „Diese zehn Prozent Internisten haben wir nicht“, stellte Schulze-Koops bei einer Pressekonferenz fest. Aber es ist eine politische Vorgabe, mit der sich Druck aufbauen lässt. Genau das soll nun geschehen.

Mit ihrer Kampagne „Rheuma in der Gesellschaft“ werden die DGRh, der Berufsverband Deutscher Rheumatologen (BDRh) und der Verband Rheumatologischer Akutkliniken (VRA), unterstützt von der Deutschen Rheuma-Liga, weder Landespolitiker schonen noch die medizinischen Fakultäten an Universitäten und Hochschulen. Es geht um mehr öffentliche Aufmerksamkeit.

Erkannt wird aber ebenfalls selbstkritisch das „verstaubte Image“ der Rheumatologie, selbst in medizinischen Fachkreisen. Man wolle den Ruf einer „Ich kann sowieso nichts tun“-Disziplin los werden, sagte Schulze-Koops im Podcast der „Ärzte Zeitung“.

Im Studium unterrepräsentiert

Warum sich so wenige junge Ärztinnen und Ärzte für die Rheumatologie interessieren, dafür hat der Leiter der Rheumaeinheit an der LMU München einen zentralen Erklärungsansatz: Rheumatologisch erkrankte Menschen würden in Deutschland bevorzugt ambulant behandelt. Daher gebe es relativ selten Ärzte mit rheumatologischer Expertise an Krankenhäusern. Und weil das so ist, wird auch wenig ausgebildet.

Schon für Studierende der Medizin ist das Fach Rheumatologie oft ziemlich unsichtbar. Schulze-Koops: „Ein Problem ist, dass wir in Deutschland an weniger als der Hälfte der Medizinischen Fakultäten Professuren für Rheumatologie haben.

Infolgedessen erhalten die Medizinstudenten kaum Zugang zur internistischen Rheumatologie über Fachärzte für Rheumatologie. Daher können sie gar kein Interesse für das Gebiet entwickeln. Es fehlt der Kontakt zu Kollegen, die die Rheumatologie praktizieren und positive Aspekte des Berufslebens weitergegeben.“

Rheumatologie erscheint vielen perspektivlos

Und da viele Krankenhäuser keine stationäre rheumatologische Versorgung anböten, erscheine jungen Assistentinnen und Assistenten die Rheumatologie letztlich perspektivlos. So schließt sich der Kreis, ergänzt um die Tatsache, dass Rheumatologie bevorzugt ein „sprechendes Fach“ ist, somit aus der kaufmännischen Sicht von Klinikleitungen wenig attraktiv.

Deshalb verwundert es nicht, dass gerade auch die Rheumatologen Fehlanreize des deutschen Fallpauschalensystems kritisieren. Krankenhäuser seien zu Wirtschaftsunternehmen mutiert, kritisierte Professor Hanns-Martin Lorenz aus Baden-Baden und ebenfalls DGRh-Vorstand. Daher entstünden an Kliniken vor allem Weiterbildungsstellen in Abteilungen, die hohe DRG-Erlöse brächten. Der Versorgungsbedarf in der Bevölkerung werde auf diese Weise nicht berücksichtigt.

„Planwirtschaftliche Strukturierung“ gefordert

Lorenz fordert eine „planwirtschaftliche Strukturierung“ und verweist auf Länder wie Italien oder Frankreich, wo langfristig entlang des Bedarfs Weiterbildungsstellen geplant würden. Es lasse sich einfach kalkulieren, wie viele Rheumatologen in zehn Jahren gebraucht würden, sind sich Lorenz und Schulze-Koops einig, die Datengrundlage dafür sei vorhanden.

Außer mit Forderungen an die Gesundheitspolitik des Bundes wollen die Rheumatologen an den Türen der Gesundheits- und Wissenschaftsministerien aller 16 Bundesländer anklopfen und auf die prekäre Versorgungslage einerseits sowie die Ausbildungsnotwendigkeit andererseits hinweisen. Die medizinischen Fakultäten der Universitäten und Hochschulen werden an den GBABeschluss erinnert.

Neue Weiterbildungsstellen schaffen

„Wenn an der Hälfte der Fakultäten keine rheumatologische Versorgung und infolgedessen auch keine rheumatologische Lehre stattfindet, dann können diese Fakultäten nur einen Teil der geforderten Ausbildungsinhalte vermitteln“, erklärt Schulze-Koops. Bisher bekomme man die Fakultäten nur schleppend dazu, neue Lehrstühle zu schaffen.

Fast müsse man froh sein, wenn frei werdende Lehrstühle überhaupt wieder besetzt werden. Und wenn künftig zehn Prozent der KV-Sitze an Rheumatologen vergeben werden sollen, dann müssten auch ebenso viele Weiterbildungsstellen geschaffen werden. Was das „verstaubten Image“ der Rheumatologie angeht, ist vermehrt positive Selbstdarstellung gefragt.

Eine „coole“ Disziplin

Als „coole“ Disziplin wolle man sich präsentieren, so Schulze-Koops. Er betont die therapeutischen Fortschritte, die die Rheumatologie in den vergangenen zwei Jahrzehnten gemacht hat, legt Wert auf die inhaltliche Breite, die Interdisziplinarität und den ganzheitlichen Ansatz des Faches.

Das Altersspektrum der Patienten umfasse das ganze Leben und wegen der intensiven Beschäftigung mit immunologischen Fragen seien Rheumatologen in der Lage, auch Erkrankungen außerhalb des eigenen Fachgebiets gut zu verstehen – aktuelles Beispiel ist COVID-19.

Ein Problem ist, dass wir in Deutschland an weniger als der Hälfte der Medizinischen Fakultäten Professuren für Rheumatologie haben.

Professor Hendrik Schulze-Koops, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) und Kongresspräsident des virtuellen Deutschen Rheumatologiekongresses 2020

Über all dies möchten die Fachgesellschaften mit ihrer Kampagne Medizinstudierende und junge Ärzte über digitale Medien informieren und für sich werben. Zumal die um Nachwuchs buhlende Konkurrenz groß ist.

Unterm Strich zählt, was an bereits medizinisch Machbarem in naher Zukunft tatsächlich für rheumakranke Menschen umgesetzt werden kann. Dass ein Patient mit Anzeichen einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung innerhalb von vier bis sechs Wochen einen Facharzt sieht, ist gegenwärtig und in den nächsten Jahren illusorisch.

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