Fraktionen befragt
So bewerten Politiker das erste Corona-Halbjahr
Vor sechs Monaten hat sich in Deutschland der erste Patient mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert. Seitdem war die Politik besonders gefordert. Wie fällt die Corona-Halbjahresbilanz bei den Fraktionen aus? Die „Ärzte Zeitung“ hat nachgefragt.
Veröffentlicht:Berlin. In der öffentlichen Wahrnehmung hat die Gesundheitspolitik gewonnen. Davon zeigt sich der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses Erwin Rüddel (CDU) überzeugt. „Die Pandemie hat die Bedeutung der Gesundheitspolitik gestärkt“, sagte Rüddel auf Anfrage.
Am 27. Juli ist es exakt sechs Monate her, seit in Deutschland der erste Corona-Patient identifiziert worden ist. Zunächst hätten viele Entscheidungen getroffen werden müssen, obwohl „große Ungewissheit“ geherrscht habe, sagte Rüddel. Das habe die kollegiale Zusammenarbeit im Ausschuss über alle Fraktionen hinweg gestärkt.
Reihe von Verordnungen erlassen
Mit Änderung des Infektionsschutzgesetzes hat die Exekutive befristet bis Ende März 2021 viele Gestaltungsmöglichkeiten bekommen. Davon legt die schnell aufeinander folgende Reihe von Verordnungen Zeugnis ab, die das Gesundheitsministerium seither erlassen hat.
Bislang 16 Mal hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von der Ermächtigung Gebrauch gemacht und auch noch ein paar Anordnungen ausgesprochen. Themen waren die Beschaffung von Schutzausrüstung und Medizinprodukten, die Verpflichtung, Intensivbetten an das DIVI-Register zu melden, oder die Sicherung der Ausbildung in Gesundheitsfachberufen während der Pandemie.
Wie fällt die Corona-Halbzeitbilanz der unterschiedlichen Fraktionen im Bundestag aus? Die „Ärzte Zeitung“ hat Erwin Rüddel (CDU), Bärbel Bas (SPD), Professor Andrew Ullmann (FDP) und Maria Klein-Schmeink (Grüne) befragt:
Für Erwin Rüddel ist das Parlament nicht entmachtet. „Durch den engen Austausch zwischen Legislative und Exekutive hat es bei den Abgeordneten weitgehend den Eindruck gegeben, dass das Parlament das letzte Wort hat“, sagte der Ausschussvorsitzende.
Als Lehre aus der Krise sollte die Frage beantwortet werden, wie sich im stationären Sektor Vorhaltereserven für Corona-Patienten gesichert werden können, ohne den Normalbetrieb in den Kliniken zu sehr einzuschränken. Das gelte auch für die Praxen der niedergelassenen Ärzte, wenn es im Herbst mit der Erkältungszeit zu neuen Herausforderungen für die ambulante Versorgung komme.
Im internationalen Vergleich sei Deutschland gut durch die Krise gekommen, sagte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion Bärbel Bas. Die ambulante Versorgungsebene von Haus- und Fachärzten sei eine große Stärke des Landes. Die Schutzschirme trügen dazu bei, die Versorgung zu sichern. Am Ende dürften aber nicht nur die gesetzlich Versicherten die Zeche bezahlen.
Bislang werde der Aufbau von Intensivkapazitäten und die Finanzierung von Coronatests – auch für Privatversicherte – nur aus der gesetzlichen Versicherung bezahlt. Hier müsse die private Assekuranz stärker in die Pflicht genommen werden.
Als Lehre aus der Krise sollten in Zukunft ausreichende Reserven an Schutzausrüstung und Arzneimitteln vorgehalten werden. An dieser Stelle sollte die europäische Gesundheitspolitik einen größeren Stellenwert erhalten.
Die Zukunft der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit im Gesundheitswesen nimmt der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, der Infektiologe Professor Andrew Ullmann, in den Blick. „Das Gute ist, wie die Sektoren in der Krise zusammengearbeitet haben. Das muss Vorbild sein“, sagte der Liberale.
Eine integrierte, wohnortnahe, qualitativ hochwertige Versorgung sei dringend vonnöten. Zuschüsse und Landarztquoten würden nicht helfen, so Ullmann. Auch den Krankenhäusern stünden Strukturreformen ins Haus.
Mit Blick auf die aufbrechenden Konflikte um die Notfallreform zwischen Vertragsärzten und Verbänden der Krankenhäuser sagte Ullmann: „Hier dürfen niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser nicht in alte Gräben zurückkehren.“
„Es wurden Fehler gemacht, die sich nicht wiederholen dürfen“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen, Maria Klein-Schmeink. Menschen in Einrichtungen, ob Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderung oder die Fachkräfte und Angehörigen seien lange vergessen worden.
Im Herbst dürften die die Einrichtungen nicht wieder zur Gefahr für die Bewohner werden. Gleichwohl sollten sie nicht wieder vollständig isoliert werden.