Betriebsrenten
Sozialstaat am Limit – kein Spielraum mehr für neue Projekte
Seit Jahren wachsen die Ausgaben für Soziales in Deutschland stärker als die Volkswirtschaft. Dass es so nicht weitergehen kann, zeigt das wahrscheinliche Scheitern des Plans des Bundesgesundheitsministers, die Beitragsbelastung von Betriebsrenten zu halbieren.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Möglichkeiten für soziale Wohltaten – und zwar auch für durchaus sinnvolle – stoßen an ihre Grenzen. Sichtbar wird dies an dem Plan von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Beiträge für Bezieher von Betriebsrenten zur Krankenversicherung vom vollen auf den halben Beitragssatz zu senken.
Die Verbeitragung von Betriebsrenten war eine Notoperation im Jahr 2003 in der Verantwortung der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Damals hatten die Krankenkassen Schulden von rund 15 Milliarden Euro aufgetürmt – und das in einer stagnierenden Wirtschaft.
Die Geldbeschaffungsmaßnahme für die GKV führte dazu, dass Betriebsrenten, die bereits in der Ansparphase verbeitragt worden waren, nun noch einmal bei Auszahlung der Rente zu Krankenversicherungsbeiträgen führen. Besonders hart trifft es diejenigen, die von einem Kapitalwahlrecht Gebrauch machen können. Dann kassiert die Krankenkasse auf einen Schlag fünfstellige Beträge, die eigentlich der Alterssicherung dienen sollten.
Stopp-Signal für Spahns Pläne
Spahn will diese Last zumindest halbieren, und das führt zu Mindereinnahmen bei den Krankenkassen von rund drei Milliarden Euro jährlich. Die möchte er aber nicht aus den Reserven der GKV finanzieren, sondern überwiegend aus dem Bundeshaushalt. Da aber haben erst einmal Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Stopp-Schild gesetzt.
Dabei ist der Spahn-Plan in der Sache wohl begründet: Er würde die besondere Beitragsbelastung der Betriebsrenten mildern. Und noch wichtiger: Händeringend suchen Renten-Politiker nach Wegen, die gesetzliche Rente, die schon in den nächsten Jahren unter demografischen Druck geraten wird, durch alternative Sicherungssysteme zu ergänzen.
Diese Ergänzungsfunktion erfüllen die Betriebsrenten immer weniger, auch weil sie vom Gesetzgeber unattraktiv gemacht worden sind. So ist das Leistungsvolumen der Betriebsrenten zwischen 2010 und 2017 nur noch um knapp 16 Prozent auf 27,3 Milliarden Euro gewachsen; es stagniert seit 2015. Im gleichen Zeitraum wuchs das Leistungsvolumen der gesetzlichen Rentenversicherung um fast 20 Prozent.
Spahn ist damit das erste Opfer sozialpolitischer Illusionen – und einer Fehlentwicklung, die schon Vorgänger-Regierungen zu vertreten haben. Deutschland hatte das Glück, sich nach der tiefen Rezession 2009 rasch und andauernd wirtschaftlich zu erholen. Seit 2010 legte das Sozialprodukt jedes Jahr real zu und sorgte für Überschüsse in den Haushalten von Staat und Sozialversicherungen.
Eine solch anhaltende Wachstumsphase sollte – zumindest in Teilen – das Sozialbudget entlasten. Genau das passierte aber nicht: Trotz geringerer Arbeitslosigkeit stieg der Anteil des Sozialbudgets am Bruttoinlandsprodukt zwischen 2011 und 2017 von 28,7 um 0,9 Prozentpunkte auf 29,6 Prozent. In Zahlen ist dies ein absoluter Betrag von 30 Milliarden Euro.
Problem stagnierende Wirtschaft
Das heißt: Bürger, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, haben jedes Jahr seit 2011 überproportional vom Wirtschaftswachstum profitiert. Nun aber werden die Handlungsspielräume enger: Seit Mitte 2018 stagniert die Wirtschaft. Im Jahreswirtschaftsbericht 2018 prognostizierte die Bundesregierung noch ein Wachstum von real 2,4 Prozent.
Tatsächlich meldete das Statistische Bundesamt vor wenigen Tagen ein Wachstum von 1,4 Prozent. Die aktuelle Wachstumsprognose für dieses Jahr lautet auf ein Prozent. Aber dieses kleine bisschen Mehr können Donald Trump und ein ungeregelter Brexit atomisieren. Dann dürften alle bisherigen Prognosen zur Entwicklung von Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen Makulatur sein.
Die Ministerinnen und Minister für soziale Angelegenheiten – Giffey, Heil und Spahn – haben in den letzten Monaten reichlich Gesetze zugunsten von Kindern, Familien, Rentnern, Patienten und Pflegebedürftigen beschlossen. Die Beitragszahler wird es treffen, wenn die noch hohen Finanzreserven aufgezehrt sind.
In der Rente hat man gerade doppelte Haltelinien beschlossen: Der Beitragssatz von derzeit 18,6 Prozent (er könnte niedriger liegen, darf es aber nicht, weil Überschüsse bald gebraucht werden) wird 2025 bereits bei 20 Prozent liegen – aber nur, wenn der Bund zusätzlich 6,25 Milliarden Euro zuschießt.
Weiter als sechs Jahre traut man sich in Berlin gar nicht zu schauen. Denn dann gehen die Babyboomer in Rente – und stellen die sozialen Sicherungssysteme vor eine neue Dimension von Herausforderungen.