GKV-Defizit
Spahns geplanter Griff in Kassenreserven ruft Kritik hervor
Die Coronavirus-Pandemie reißt ein Loch von mehr als 16 Milliarden Euro in die Finanzierung der GKV. Der Steuerzahler und die Beitragszahler sollen es flicken. Spahns geplanter Griff in die Kassenreserven missfällt AOKen, BKKen und auch dem CDU-Gesundheitspolitiker Krauß.
Veröffentlicht:Berlin. Mit Steuermitteln, einem kräftigen Griff in die Finanzreserven der Krankenkassen und einer Anhebung der Zusatzbeiträge wollen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) die Finanzierungslücke in der gesetzlichen Krankenversicherung schließen, die die Pandemie aufzureißen droht.
Es geht um mehr als 16 Milliarden Euro, die mit der aktuellen Finanzierung durch den allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent des Bruttoeinkommens plus den vom Gesundheitsminister bekannt gegebenen durchschnittlichen Zusatzbeitrag von derzeit 1,1 Prozent nicht gedeckt wären.
Spahns Vier-Punkte-Plan
Hintergrund ist die „Sozialgarantie 2021“ der Großen Koalition. Sie besagt, dass die Beiträge von Renten-, Arbeitslosen-Kranken- und Pflegeversicherung 40 Prozent nicht überschreiten dürfen. Gesundheitspolitiker und Vertreter der Kassen zeigen sich von den aktuellen Vorschlägen nicht begeistert.
In vier Schritten will Spahn den Kassenbeitrag dämpfen:
- Der Finanzminister soll den bei 14,5 Milliarden Euro festgeschriebenen Bundeszuschuss im Jahr 2021 um fünf Milliarden auf 19,5 Milliarden anheben.
- Die Krankenkassen sollen acht Milliarden aus ihren Finanzreserven beisteuern. Derzeit liegen die Reserven aller Kassen zusammen bei 20,6 Milliarden Euro, knapp eine Monatsausgabe. Gesetzlich vorgeschrieben sind ein Fünftel einer Monatsausgabe. Allerdings sollen nur Kassen aushelfen müssen, deren Reserven bei mehr als zwei Fünftel Monatsausgaben liegen. Was darüber liegt, soll zu zwei Dritteln eingezogen werden.
- Der kassenindividuelle Zusatzbeitrag soll nur noch dann erhöht werden dürfen, wenn eine Kasse im letzten Quartalsergebnis weniger als vier Fünftel einer Monatsreserve auf der hohen Kante hat.
- Der neue durchschnittliche Zusatzbeitrag errechnet sich aus der verbleibenden Finanzierungslücke von drei Milliarden Euro (16 Mrd. minus 5 Mrd. aus Bundeszuschuss und 8 Mrd. aus den Kassenreserven). Das ergibt einen Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes um 0,2 Beitragssatzpunkte auf 1,2 Prozent.
Vor allem AOKen betroffen
Vom Griff in die Reserven sind vor allem einige AOKen betroffen. „Dass ein Gros dieser Mittel nun doch alleine vom Beitragszahler aufgebracht werden soll, halten wir für falsch“, sagte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands am Dienstagnachmittag.
An der Bewältigung der finanziellen Folgen der Coronavirus-Pandemie sollten auch andere Akteure beteiligt werden. Der Pharmabereich verfüge über große Einsparpotenziale. Zum Beispiel lasse sich der Herstellerabschlag bei patentgeschützten Arzneimitteln wieder erhöhen. Zudem schlug Litsch eine Reform des Preismechanismus für patentgeschützte Arzneimittel vor.
„Sehr kritisch“ sehen auch die Betriebskrankenkassen die geplanten Eingriffe in die Reserven. Damit werde ein Teil der Beiträge der gesetzlich Versicherten sozialisiert, sagte Franz Knieps, Chef des BKK-Dachverbandes.
Insbesondere kleinere und mittelgroße Kassen benötigten ausreichend Rücklagen, um gegen Hochkostenfälle und Ausgabenschwankungen gewappnet zu sein.
Werden Kassen, die solide gewirtschaftet haben, bestraft?
Eine Rüge erteilte den Regierungsvorschlägen auch der CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß. „Jetzt werden jene Krankenkassen ausgeplündert, die solide gewirtschaftet haben“, sagte Krauß. Das sei Sozialismus und eine Bestrafung der Kassen, die für Krisen vorgesorgt hätten.
Besonders betroffen seien die AOK plus (Sachsen und Thüringen) sowie die Techniker Krankenkasse. Krauß verlangte von Finanzminister Olaf Scholz über die bereits bewilligten fünf Milliarden Euro hinaus weitere fünf Milliarden aus dem Bundeshaushalt.
Kommentar zum GKV-Defizit
Acht Milliarden Euro im Handstreich
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Maria Klein-Schmeink, warnte vor den Langzeiteffekten der „teuren Gesetze“ von Gesundheitsminister Jens Spahn. Der Griff in die Rücklagen sei ein Einmaleffekt, die Belastungen der Gesetzgebung wirkten jedoch weiter. Spahn hoffe augenscheinlich darauf, nach 2021 keine Verantwortung mehr für die Gesundheitspolitik übernehmen zu müssen.