Interview mit Dr. Uwe Popert
Statt ins INZ lieber in die Arztpraxis
Geht es nach Gesundheitsminister Jens Spahn, sollten künftig ambulante Patienten in Integrierten Notfallzentren an den Krankenhäusern triagiert werden. Doch woher die Ärzte dafür nehmen? Im Interview spricht Dr. Uwe Popert, Hausarzt in Kassel, über ein womöglich besseres Modell – für Patienten und Ärzte.
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Mit Blaulicht in die Arztpraxis?
© Marcel Kusch / dpa / picture all
Ärzte Zeitung: Herr Dr. Popert, die von Gesundheitsminister Jens Spahn geplanten Integrierten Notfallzentren (INZ) rufen einige Kritik hervor. Wie bewerten Sie die Pläne aus Ihrer hausärztlichen Erfahrung?
Dr. Uwe Popert: Wenn man die INZ an allen gut über 1000 Krankenhäusern bereitstellen wollte, die heute an der Notfallversorgung teilnehmen, wäre man völlig überfordert.
Wollten wir für alle genügend Hausärzte bereitstellen, wären das über zehn Prozent der Allgemeinmediziner und hausärztlichen Internisten in Deutschland. Mit dem Funktionieren des ambulanten Gesundheitswesens ist das nicht vereinbar.

© privat
Dr. Uwe Popert
- Ausbildung: Medizinstudium 1978 bis 1984 in Marburg, seit 1995 Facharzt für Allgemeinmedizin
- Niedergelassen als Hausarzt in Kassel
- Funktionen: Vorstandsmitglied im Hausärzteverband Hessen, Mitglied KV-Vertreterversammlung, Delegierter Landesärztekammer, Sprecher der DEGAM-Sektion Versorgungsaufgaben
Sie befürchten, dass beim Betrieb der INZ rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche etwa 5000 Ärzte aus den Praxen abgezogen würden?
Ja. Ich skizziere mal die Kasseler Situation, wo ich tätig bin: Wir haben ein Krankenhaus der Maximalversorgung, an dem die Bereitschaftsdienstzentrale angesiedelt ist, die wohl die größte oder zweitgrößte Hessens ist.
Diese Zentrale ist außerhalb der Praxissprechzeiten in der Regel mit mehreren Hausärzten gleichzeitig besetzt. Wir haben zahlreiche weitere Krankenhäuser, die zumindest in der Chirurgie, teils aber auch in anderen Bereichen tagsüber Ambulanzen geöffnet haben.
Ein Krankenhaus ist hier vis-à-vis von unserer Praxis, direkt über die Straße. Das Schöne an dem hessischen Modell der Partnerpraxen ist, dass wir uns die Patienten je nach Fall hin- und herschicken können.
Zwischen der Klinik über der Straße und Ihrer Praxis?
Genau. Wenn die Kollegen in der Klinik das Gefühl haben, da hat sich einer „verirrt“, dann kann er einfach über die Straße zu uns in die Praxis gehen. Und wir können auch recht schnell Patienten einweisen, wenn es nötig ist.
Wie wird das Partnerpraxismodell denn von den Klinikkollegen und dem Rettungsdienst angenommen?
Vom Rettungsdienst noch nicht, aber das liegt an den offiziellen Bestimmungen, die dem zuwiderlaufen. Die Rettungswagen dürfen Arztpraxen ja nicht ohne Weiteres anfahren. Das ist ein Manko, das es mit der Notfallreform eigentlich zu heilen gelte.
Aber mit den Kliniken klappt es unter anderem auch deswegen, weil im Krankenhaus gegenüber mehrere Ärzte tätig sind, die hier in der Praxis ihr PJ gemacht haben und deshalb wissen, was hausärztlich geleistet werden kann und dass man sich vertrauen kann.
Bliebe noch der Rettungsdienst, der ja im Rahmen der Notfallreform ein eigener medizinischer Leistungsbereich im Sozialgesetzbuch V werden soll. Wäre es sinnvoll, den Rettungsdienst in das Modell einzubeziehen?
Auf jeden Fall! Ich glaube sogar, dass das gar nicht anders funktionieren kann. Ein einfaches Beispiel: Wir haben eine ältere Dame in der Gegend, die ist tagsüber alleine und ruft in zwei- bis siebentägigen Abständen immer Mal den Rettungsdienst an, weil sie Rückenschmerzen hat und weil sie auch nicht mehr weiß, wo sie ist.
Inzwischen sind die Damen und Herren vom Rettungsdienst in diesem Fall so freundlich und rufen in der Praxis an und fragen, ob da etwas Besonderes ist. Ich sichere ihnen dann zu, dass ich im Laufe des Tages einen Hausbesuch mache und nach dem Rechten gucke.
Der Rettungsdienst weiß aber im Grunde genau, dass die Dame eigentlich gar nicht ins Krankenhaus muss, und die Kollegen im Krankenhaus sind schon etwas genervt, weil sie jedes Mal einen Brief schreiben müssen, wenn sie sie dann doch wieder nach Hause schicken.
Das heißt, es ist sinnvoll, eine kurze Strippe zwischen dem Notdienst und idealerweise dem behandelnden Hausarzt zu haben.
Die Zusammenarbeit hängt von den einzelnen Kollegen ab. Wie ließe sich das Modell in der Fläche ausrollen?
Letztendlich gibt es ja viele vernünftige Kollegen, und wir müssen mit vielen bürokratischen Bestimmungen klarkommen. Aber es kann nicht sein, dass die Krankenhäuser jetzt noch dadurch mehr in den Blickpunkt der Patienten rücken, indem sie 24 Stunden am Tag eine ambulante Anlaufstelle für die Patienten werden, die erst gar nicht ins Krankenhaus gehen sollten, und für Patienten, die im Krankenhaus eine meist unnötige Kaskade von Untersuchung lostreten …
… was oft nicht adäquat ist …
Was in sehr vielen Fällen nicht adäquat ist. Nicht zuletzt deshalb hat sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft ja beklagt, die Kliniken bräuchten das Doppelte bis Dreifache des bisherigen Honorars für die Abklärung ambulanter Fälle. Das liegt einfach daran, dass sie die Abklärung immer sehr gründlich betreiben.
Das ist menschlich verständlich, medizinisch kann man sich darüber streiten. Aber das ist nun einmal die Philosophie eines Krankenhauses und etwas anderes als im niedergelassenen Bereich.
Ein Beispiel: Die Behandlung des Verdachts auf eine Lungenentzündung ist im Krankenhaus meiner Erfahrung nach nie ohne Röntgenbild möglich. Im ambulanten Bereich ist es bei unkomplizierten Patienten eher die Regel, dass kein Röntgen gemacht wird.
Also müssten Versicherte schon vor dem Weg zur Klinik in die Hausarztpraxen gelenkt werden?
Der Hintergrund ist die spezifische Herangehensweise der Hausärzte als Primärversorger. Dazu gehört Übung. Es ist nicht ganz einfach, immer ohne Röntgenbild auszukommen. Hinzu kommt, dass ich in meiner Praxis wesentlich effektiver bin, als wenn ich in einer Notfallambulanz arbeite, vor allem weil ich hier ein eingespieltes Team habe.
Hausärzte im INZ würden weniger „performen“ als in ihrer Praxis?
Genau, und das deutlich. Im deutschen System, das im internationalen Vergleich ohnehin sehr wenige Hausärzte hat, würden wir deren Effektivität nochmals dramatisch verringern.
Vielen Dank für das Gespräch!