Urteil zur Sterbehilfe

„Suizid-Wunsch ist die Ausnahme“

Mit Erleichterung, aber auch gewisser Sorge nehmen Palliativmediziner das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch zu Kenntnis.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Palliativmedizinern gibt das Karlsruher Urteil zur Sterbehilfe wieder mehr Rechtssicherheit.

Palliativmedizinern gibt das Karlsruher Urteil zur Sterbehilfe wieder mehr Rechtssicherheit.

© Chinnapong / stock.adobe.com

Neu-Isenburg. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) hat zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung Stellung genommen.

„Ich sehe das Urteil mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, erklärte Norbert Schürmann, Schmerz- und Palliativmediziner aus Moers und DGS-Vizepräsident, gegenüber der „Ärzte Zeitung“. „Uns Palliativmedizinern gibt dieses Urteil ein Stück weit Rechtssicherheit.“ Andererseits würden jene, die assistierte Selbsttötungen gewerblich anbieten, nun wieder Aufwind bekommen, so Schürmann.

Palliativmediziner Dr. Norbert Schürmann: In Wirklichkeit liegt doch sehr oft kein unlösbares medizinisches Problem als vielmehr ein soziales Problem vor.

Palliativmediziner Dr. Norbert Schürmann: In Wirklichkeit liegt doch sehr oft kein unlösbares medizinisches Problem als vielmehr ein soziales Problem vor.

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Nur wenige fahren in die Schweiz

Der Gesetzgeber habe 2017 gerade die kommerziellen Angebote zur Selbsttötung verhindern wollen. Es gibt Umfragen, wonach zwei von drei Deutschen den assistierten Suizid befürworten. „Das ist aber nicht das, was unsere Patienten möchten“, so Schürmanns Erfahrung.

Gesunde bewerteten diese Frage oft völlig anders als Sterbenskranke. Nur zweimal in seiner zwölfjährigen Tätigkeit als Palliativmediziner hat Schürmann erlebt, dass Patienten ihn um eine Spritze gebeten haben, weil sie nicht mehr leben wollten. „Dies aber nicht, weil sie unerträgliche Schmerzen gehabt hätten. Sie waren depressiv und kamen mit ihrem Leben nicht mehr zurecht.“

Angesichts von schätzungsweise einer Million schwerkranker Menschen in Deutschland und etwa 100.000 Palliativpatienten zeige die pro Jahr niedrig zweistellige Anzahl von Menschen, die für die Selbsttötung in die Schweiz fahren, dass in Wirklichkeit nur sehr wenige Menschen diesen Weg gehen wollten. Das sei auch ein Verdienst der spezialisierten ambulanten palliativmedizinischen Versorgung (SAPV) in Deutschland.

Viele Menschen sind schlicht einsam

Eine Gesetzgebung und Praxis wie in den Niederlanden würde das Tor für assistierten Suizid bei jeglichen chronischen Erkrankungen öffnen, warnt der Palliativmediziner. Die Erfahrungen in den Niederlanden zeigen, dass zunehmend mehr Menschen den assistierten Suizid in Anspruch nehmen. „Da kann ein gesellschaftlicher Druck entstehen“, befürchtet Schürmann. „In Wirklichkeit liegt doch sehr oft kein unlösbares medizinisches Problem als vielmehr ein soziales Problem vor.“ Viele alte Menschen seien schlicht einsam.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass jeder Bürger und jede Bürgerin selbst entscheiden darf, ob er oder sie ihr Leben für lebenswert halten. Bei Todeswunsch dürfen sie auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückgreifen. Der Gesetzgeber darf diese Suizidhilfe regulieren.

Schürmann: „Ich würde mir wünschen, dass künftig klar unterschieden wird zwischen den in Netzwerken tätigen Palliativmedizinern, die natürlich auch Geld mit ihrer Arbeit verdienen, und jenen, die gewerblich assistierten Suizid als Geschäftsmodell anbieten wollen.“ Der assistierte Suizid sei nur in absoluten Ausnahmefällen zu tolerieren.

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